So, bevor ich heute den freien Abend ausnutzen werde, mir auch mal wieder einen Film anzusehen, gibt es selbstverständlich noch eine neue Kritik, diesmal zu einem für mein Portfolio mal wieder recht ungewöhnlichem Buch, das ich auch mehr auf Drängen meiner Freundin angefragt habe und das mich letzthin nicht vollends überzeugen konnte. Nichtsdestotrotz kommt sie hier natürlich, meine Review zu:
Wurst und Wahn
Wurst und Wahn, DE 2011, 101 Seiten
© Kiepenheuer & Witsch
Jakob Hein
Kiepenheuer & Witsch
978-3-462-04440-9
Satire | Komödie
Inhalt:
Der namenlose Erzähler befindet sich in Untersuchungshaft, wird verhört von dem Herrn Kommissar und berichtet davon, wie es zu dem Mord kommen konnte, dessen er beschuldigt wird. Alles hat damit begonnen, dass er arglos und nichtsahnend auf der Weihnachtsfeier eine Gänsekeule bestellt und damit den Unmut aller Kollegen auf sich zieht, denn dass er noch Fleisch esse, das könne man ja nun wirklich nicht tolerieren. In die Enge getrieben erklärt er, dass dies das letzte Mal sein soll und er von da ab – so wie der Großteil der Bevölkerung – vegetarisch leben wird, selbstverständlich. Doch die Entwöhnung wandelt sich schnell zu einem kalten Entzug und der Erzähler baut merklich ab, während ihm Zähne und Freundin abhandenkommen.
In seiner Not sucht der Erzähler Rat und Hilfe im Internet und gerät an Tom Tofu, der ihm mit guten Tipps zur Seite steht, sein Leiden aber im Grunde nur verschlimmert. Als sich auch noch der Sexualtrieb nebst zugehörigem Utensil verabschiedet, denkt der Erzähler das erste Mal darüber nach, seiner Sehnsucht nach totem Tier wieder nachzugeben – und gerät an den karnivoren Untergrund, der es sich zum Ziel gemacht hat, die unwillig zum Vegetarismus gezwungenen Menschen aus ihrem Leid zu erlösen.
Rezension:
Jakob Heins Geschichte Wurst und Wahn will sich als Satire verstanden wissen und trifft deren Ton auch bisweilen vortrefflich, wenn er genüsslich die Ideologien der Vegetarier wie auch deren Kontrahenten auseinandernimmt und gnadenlos überspitzt, dermaßen überspitzt, dass ein lauterer Bürger letzthin zum Mord getrieben wird, gezwungen von einem totalitären Gesellschaftssystem, dass alle Karnivoren ächtet und den Vegetarismus als einzig wahre Lebensform preist, während die im Untergrund organisierten Fleisch-Fanatiker freilich in keiner Weise besser sind mit ihren plakativen und einseitigen Weltanschauungen.
Ich könnte mich nicht festlegen, über welche Seite sich Heins Farce Wurst und Wahn am ehesten erheitert, doch geht es vielleicht gerade darum, aufzuzeigen, dass Fanatismus in jedweder Form zu nichts Gutem führen kann, denn auch unter den verkehrten Vorzeichen einer beinahe gänzlich von Vegetariern beherrschten Gesellschaft gerät der Erzähler schließlich unter Druck und braucht nicht auf Toleranz oder Verständnis hoffen, zumal sich die eine wie die andere Front als zwei Seiten derselben Medaille präsentieren.
Doch so unterhaltsam und kurzweilig Heins Kurzgeschichte ist – denn das 100-seitige Büchlein als vollwertigen Roman zu bezeichnen wäre zu viel des Guten – kam ich nicht umhin, mich nach einer klaren Position zu sehnen, denn wer hier wen durch den Kakao zieht und was genau angeprangert wird, abgesehen von fanatischen Ideologien, das blieb oft genug unklar. Ebenso war mir auch manche Übertreibung zu übertrieben, wenn beispielsweise dem Erzähler der Penis abfällt und der Arzt ihm erklärt, dies sei ein normales Phänomen des Vegetarismus, so konnte ich mich darüber nicht allzu sehr erheitern, nicht weil ich prüde wäre oder die Vegetarier hier verunglimpft sehe, sondern weil ich es in seiner Art und Ausgestaltung schlicht nicht witzig fand, eher zum fremdschämen.
Natürlich kann man gerade in einer Satire so vom Leder ziehen, doch ist mir der Autor manchmal zu sehr übers Ziel hinausgeschossen und hat sich dadurch auch manche Pointe versaut, was natürlich bei einem zuvorderst unterhaltsamen Buch von enormen Nachteil ist, denn Tiefgang hat die Story um den Mord nicht wirklich zu bieten, eben abgesehen von dem dezenten gesellschaftskritischen Unterton. Zum Ende hin prescht die Geschichte dann noch einmal kurz vor, hetzt viel zu schnell und endet abrupt und wenngleich überraschend, auch ein wenig unbefriedigend. Eine nette Idee sicherlich und in ihren besten Momenten durchaus zum Schmunzeln geeignet, ansonsten aber kaum mehr als nett für zwischendurch.
Wurst und Wahn
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Durch Vegetarismus verursachte Gebrechen - 6/10
6/10
Fazit & Wertung:
Wurst und Wahn aus der Feder des bekennenden Mode-Vegetariers Jakob Hein ist in seinen besten Momenten herrlich satirisch, lässt aber eine klare Linie vermissen und wirkt zum Ende leicht gehetzt. Zudem ist die Geschichte mit 100 Seiten doch reichlich knapp bemessen, auch wenn der Monolog des Erzählers dadurch kurzweiliger kaum sein könnte.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Kiepenheuer & Witsch. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.
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Wurst und Wahn ist am 07.01.13 als Taschenbuch bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!