Da wollte ich gestern Abend – ich hatte es erwähnt – meine aktuelle Lektüre beenden und mir nichts, dir nichts brannte mir mitten in der Nacht die Glühbirne meiner Nachttischlampe durch und so musste ich mir heute noch den halben Abend lesend auf der Couch um die Ohren schlagen, nur um euch heute noch von dem Buch erzählen zu können, das ich nun hiermit beendet habe. Was sich aber ärgerlich anhört, war nicht halb so schlimm, da die Lektüre selbst außerordentlich packend und gleichermaßen kurzweilig war, wie ihr nachfolgend werdet lesen können.
Am Ende aller Zeiten
The End of the World Running Club, UK 2016, 432 Seiten
© FISCHER Tor
Adrian J Walker
Nadine Püschel
Gesine Schröder
FISCHER Tor
978-3-596-03704-9
Endzeit | Drama | Abenteuer
Inhalt:
Ich glaube, was ich glaube, damit das Leben weniger beängstigend ist. Unser Glaube ist nur eine Sammlung von Geschichten, die wir uns selbst erzählen, um uns die Angst zu nehmen. Glaube hat sehr wenig mit der Wahrheit zu tun.
Edgar Hill befindet sich mitten in seinen Dreißigern und ist reichlich überfordert von Frau und Kindern, seinem Job, seinem Leben und fragt sich, wie er bloß in diese Tretmühle hat geraten können. Das zuweilen von ihm erhoffe Ende allerdings kommt schließlich erstens schneller und zweitens völlig anders als erwartet, denn eines Morgens regnet ein Asteroidenschauer auf die Erde herab und vernichtet große Teile Schottlands, während es Edgar im letzten Augenblick gelingt, seine Familie und sich im Keller in Sicherheit zu bringen. Das Ausmaß der Zerstörung – so wird er nach endlosen Wochen eingepfercht im eigenen Keller erfahren – ist immens und ganze Städte wurden dem Erdboden gleich gemacht, derweil die Zivilisation, wie man sie kannte, gänzlich zusammengebrochen ist. Alsbald kommen Edgar und seine Familie bei einem versprengten Haufen Militärs unter, die in einer Kaserne nahe Edinburgh die letzten Überlebenden um sich geschart haben, doch während Edgar sich bereitfindet, auf Nahrungssuche zu gehen, trifft ein Evakuierungs-Team an der Kaserne ein und so wird er von seiner Frau und seinen Kindern getrennt. Ungeachtet dessen, dass Edgar nie ein Vorzeige-Vater oder -Ehemann gewesen ist, begibt er sich mit einer Handvoll Gefährten auf die beschwerliche Reise durch das postapokalyptische Schottland nach Cornwall, um wieder mit seiner Familie vereint sein zu können…
Rezension:
Ich bin ja bekanntermaßen ausgewiesener Fan von Endzeit-Geschichten und lasse mich gerne von hübschen Covern und treffenden Titeln betören und so ist es kaum verwunderlich, dass mein Interesse bereits geweckt war, als ich das erste Mal einen Blick auf Adrian J Walkers Am Ende aller Zeiten warf, denn tatsächlich hätte es keine trefflichere Verpackung geben können für diese zutiefst persönliche, geradezu tagebuchähnlich geschilderte Geschichte, als sie als eine Art Kladde zu vermarkten, während man sich kurz nach Beginn der Lektüre regelrecht vorzustellen vermag, wie Hauptfigur Edgar Hill sich in dem Haus auf der Klippe, wo die Geschichte ihren Anfang und ihr Ende nimmt, befindet und die Geschichte dessen niederschreibt, was ihr widerfahren ist. Und ja, diese Geschichte beginnt in zweierlei Hinsicht an ihrem Ende, nicht nur, was Edgars Aufenthalt in besagtem Haus betrifft, sondern auch dahingehend, dass seine Geschichte mit dem Ende der Welt ihren Anfang nimmt (wenn ihr mir noch folgen könnt). Allein bemerkenswert dabei ist, dass es sich bei Edgar um einen regelrechten Anti-Helden handelt, nicht die eigenbrötlerischen, einsamen Wölfe und Überlebens-Strategen, an die ihr bei dem Gedanken an ähnlich gelagerte Werke vielleicht denken mögt, sondern ein regelrechter Durchschnittsmann, der von seiner Rolle im Leben, als Vater, als Ehemann überfordert ist und mit den ganz alltäglichen Problemen zu kämpfen hat, seiner ihm von der Gesellschaft zugewiesenen Rolle kaum gerecht werden zu können, bis zu dem Moment immerhin, als der Asteroidenschauer die Welt, wie wir sie kennen, nicht nur in ihren Grundfesten erschüttert, sondern regelrecht verheert.
Vielleicht ging es wirklich nur mir so – man kann aber auch behaupten, dass es mir nicht gerade blendend ging. Ich hatte ganz schön zu kämpfen. Trotzdem machte ich tapfer weiter. Oder besser: Ich taumelte weiter, setzte reflexhaft einen Fuß vor den anderen, erduldete alles, was das Leben mir zu bieten hatte, fraß alles in mich rein, verachtete alles, wollte nur noch, dass alles verschwindet.
Was es dann ja auch tat.
In dieser Hinsicht ist Am Ende aller Zeiten dann auch kurzzeitig ein klassischer Endzeitroman und schildert all die Probleme und Ängste, mit denen man sich in einer solchen Situation konfrontiert sehen mag, von fehlender medizinischer Versorgung über knapper werdende Essens- und Wasser-Vorräte bis hin zu dem gesunden Opportunismus, den es an den Tag zu legen gilt, um das eigene Überleben zu sichern, auch wenn das damit einhergehend bedeutet, anderen dringend benötigte Hilfe zu verweigern, so sehr das moralische Empfinden sich auch dagegen sträuben mag. Diesen Part der Erzählung, die Einführung, Exposition und die ersten Tage beziehungsweise Wochen nach der Apokalypse nutzt Autor Walker ausgiebig, um dem Leser die Figur Edgars in vielen Belangen näherzubringen, sie vor allem aber in Interaktion mit Frau und Kindern zu zeigen, von denen Edgar später getrennt werden wird, um sich auf eine unaussprechliche Odyssee begeben zu müssen, was dem Plot des Ganzen sehr zugute kommt, denn durch die Erinnerungen und Miniaturen, die Walker durch sein narratives Alter Ego Edgar vor dem geistigen Auge entstehen lässt, gewinnt der sich anschließende Part ungemein an emotionalem Gewicht, weil man versteht, nachfühlen kann, wieso Edgar nicht bereit und willens ist, sich seinem Schicksal zu fügen.
Ihm zur Seite stehen dabei eine Handvoll weiterer Gestalten, die ähnlich wie er von dem Ende der Welt überrumpelt worden sind und jeweils ihr eigenes Päckchen zu tragen haben, auch wenn sich Am Ende aller Zeiten spürbar Zeit lässt, auf deren jeweilige Hintergründe einzugehen, was aber ebenfalls dem Ton der Geschichte nicht schaden, die schließlich immerhin aus Edgars Sicht dargelegt wird. Dennoch sind die weiteren Figuren alles andere als flach und über die Länge der rund 430 Seiten entspinnt sich eine glaubhafte Freundschaft und Zuneigung zwischen den unterschiedlichen Gestalten, auch wenn man vor dem Hintergrund des unzuverlässigen Erzählers bis zuletzt nicht genau wie, ob sich wirklich alles so zugetragen hat, wie Edgar es erzählt. Überhaupt ist dies einer der spannendsten Aspekte an dem Buch, dass man einerseits Protagonist Edgar ungemein nah kommt, andererseits aber auch jederzeit in Frage stellen darf, ob all seine Geschichten der Wahrheit entsprechen, was sich wiederum innerhalb des Romans noch einmal in abgewandelter Form wiederholt, wenn sein Weggefährte Harvey davon berichtet, ganz Australien zu Fuß durchwandert zu haben. Davon abgesehen präsentiert sich die Geschichte – und das mögen ihr viele als Schwäche auslegen – zuweilen doch arg episodenhaft und wirkt zeitweise wie ein Buch gewordenes Road-Movie, wobei man es tunlichst vermeiden sollte, dabei nun an Erzeugnisse wie etwa Mad Max: Fury Road zu denken, denn auch wenn es in Am Ende aller Zeiten zuweilen auch etwas brutaler und gröber zugehen mag, handelt es sich doch zuvorderst um ein in ein endzeitliches Gewand gekleidetes Drama, das mancherorts gar von einem unterschwelligen, hoffnungsspendenden Humor durchzogen ist und gegen Ende auch mit ein wenig Skurrilität zu kokettieren weiß.
Ich weiß nicht, wie es ablief. Vielleicht wussten die da oben Bescheid, vielleicht auch nicht. Vielleicht hatten sie nicht die richtigen Teleskope, oder diese Dinger waren zu klein und zu schnell. Oder sie wussten sehr wohl, dass wir geliefert waren. Sie wussten es und wollten, dass wir noch ein paar letzte Monate unseren Alltag genießen. Irgendwie ein tröstlicher Gedanke.
Fakt ist: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich in einem Moment meiner dreijährigen Tochter beim Spielen zusah und sie im nächsten die Kellertreppe runterwarf und die Falltür hinter mir zuschlug.
Ich weiß nur, dass das Ende am Ende von oben kam.
Apropos Road-Movie ist dieser Vergleich aber auch dahingehend nicht allzu weit hergeholt, dass das Buch im Original unter dem Titel The End of the World Running Club erschienen ist, den man sich wahrscheinlich aus Angst davor, die Leser zu vergraulen, nicht einzudeutschen gewagt hat, doch trifft es die Sache auf den Punkt, wenn sich die bunt zusammengewürfelte Truppe alsbald laufend und schnaubend zu Fuß auf den Weg macht, die aberwitzige Distanz zwischen Edinburgh und Cornwall hinter sich zu bringen und diese abstrusen Einfälle sind es – im Buch liest man auf Seite 263 das erste und einzige Mal vom "Laufverein am Ende aller Zeiten" – die das Buch so lohnenswert und einzigartig werden lassen, auch wenn ich zugeben muss, dass Fans von Werken wie The Walking Dead hier sicherlich enttäuscht sein dürften, wohingegen Freunde des eher philosophischen Ansatzes von beispielsweise Das kalte Jahr hier eher auf ihre Kosten kommen dürften, auch wenn sich ein direkter Vergleich geradezu verbietet.
Am Ende aller Zeiten
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Stationen einer schier endlosen Reise durch ein verheertes Schottland - 9/10
9/10
Fazit & Wertung:
Nicht damit genug, eine packende Endzeit-Geschichte zu erzählen, gelingt es Adrian J Walker in Am Ende aller Zeiten, eine zutiefst emotionale wie menschliche Mär zu schildern, die trotz aller Unbill und drohender Gefahren auch immer Hoffnung vermittelt und das Ende der Welt aus einer gänzlich ungeahnten Sicht beleuchtet. Die narrative Struktur der Erzählperspektive und die assoziativen Einschübe und Erinnerungsfragmente der erzählenden Hauptfigur tun hierbei ihr Übriges, um ein rundherum stimmig konzipiertes Werk zu ergeben, das ich mit Genuss verschlungen habe.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von FISCHER Tor.
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Am Ende aller Zeiten ist am 25.08.16 bei FISCHER Tor erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!
Das Buch ist echt großartig und hat es in meine Highlights-Liste für 2016 geschafft. Erinnert mich in Grundzügen mitunter etwas an The Road.
Walker ist ein sehr sympathischer Typ, wie er mir im Interview bewiesen hat. Interessant übrigens auch, dass das Buch eine klassische Erfolgsstory eines Selfpublishers ist: Ein Del Ray-Lektor hat die ursprünglich über KDP veröffentlichte Fassung in die Finger gekriegt und Walker daraufhin einen klassischen Verlagsvertrag angeboten. Spricht wohl für die Qualität des Buches :-).