Keine Sorge, ich habe euch gestern nicht vergessen, doch nachdem eine beruflich wahrhaft mörderische Woche hinter mir liegt – unser Büro besteht regulär aus vier Personen, ratet mal, wer den Laden die Woche allein geschmissen hat dank Grippewelle – hatte ich gestern einfach nicht genug Kraft, den nun folgenden Artikel fertigzustellen, der mit mehr als 2.000 Wörtern auch doppelt so lang geworden ist wie der Durchschnitt. Macht ja aber nichts, denn noch bleibt ein wenig Zeit bis zur Veröffentlichung des nächsten Jubiläums-Media Monday und insofern erzähle ich euch einfach jetzt von:
Altered Carbon
Staffel 1
Altered Carbon, USA 2018-, ca. 52 Min. je Folge
© Netflix
Laeta Kalogridis
Steve Blackman
David Ellison
Bradley J. Fischer
Laeta Kalogridis
James Purefoy (Laurens Bancroft)
Martha Higareda (Kristin Ortega)
Chris Conner (Poe)
Dichen Lachman (Reileen Kawahara)
Kristin Lehman (Miriam Bancroft)
Trieu Tran (Mr. Leung)
Renée Elise Goldsberry (Quellcrist Falconer)
Byron Mann (O.G. Kovacs)
Will Yun Lee (Stronghold Kovacs)
Waleed Zuaiter (Abboud)
Matt Biedel (Dimi)
Adam Busch (Mickey)
Cliff Chamberlain (Ava Elliot)
Hiro Kanagawa (Captain Tanaka)
Hayley Law (Lizzie Elliot)
Alika Autran (Okulov)
Lisa Chandler (Mary Lou Henchy)
Stephanie Cleough (Anemone)
Marlene Forte (Alazne Ortega)
Teach Grant (Jimmy DeSoto)
Chris McNally (Sergei Brevlov)
Zahf Paroo (Curtis)
Michael Eklund (Dimi 2)
Science-Fiction | Krimi | Thriller
Trailer:
Inhalt:
© Netflix
In der Zukunft ist der Tod längst optional geworden und zumindest die Reichen und Mächtigen sind mittlerweile dank "Resleeving" – einer Form des Körpertauschs – in der Lage, ihr Leben beliebig zu verlängern, weshalb sie sich längst mit den Göttern gleichsetzen. Doch auch ein Gott ist nicht vor Schaden gefeit, wie Laurens Bancroft am eigenen Leib erfahren muss, als er in seinem eigenen Refugium erschossen wird. Dank Backup seines Bewusstseins ist Bancroft zwar nicht wirklich tot, doch fehlen ihm die letzten achtundvierzig Stunden, da die von der Polizei als Selbstmord deklarierte Tötung kurz vor dem nächsten Backup stattgefunden hat. Auf Anraten einer nicht minder gut betuchten Bekannten lässt Bancroft nun einen Mann namens Takeshi Kovacs in einen neuen Körper resleeven und beauftragt ihn, den Fall aufzuklären. Für Takeshi selbst, der sich durch seinen Status als Elitesoldat für die Aufgabe qualifiziert, sind derweil 250 Jahre vergangen, seit man sein Bewusstsein in Stasis versetzt hat. Anfänglich will Kovacs auch nichts von dem Fall und Bancrofts Versprechungen wissen, doch nachdem ihm eine Schar gedrungener Söldner auflauern, die seinen Namen kennen, ahnt Kovacs, dass mehr hinter der Sache stecken könnte und begibt sich auf die Suche nach Antworten…
Rezension:
So lange ich mich im Vorfeld auf die erste Staffel Altered Carbon gefreut hatte, so lange hat es letztlich gedauert, die Serie in Augenschein zu nehmen, weil die frei verfügbare Zeit sich doch eben selten den persönlichen Netflix-Sehgewohnheiten unterordnet, doch nachdem ich nun vorgestern die zweite Staffelhälfte in einem Rutsch durchgeschaut habe, fühle ich mich doch durchaus in der Lage, mein Urteil die Serie betreffend zu verschriftlichen. Dabei liegen Licht und Schatten hier nah beieinander und so sehr mich der neueste Netflix-Clou mancherorts zu begeistern wusste, so sehr hat er mich manches Mal auch irritiert oder verärgert, denn während das Geschehen in Goldenes Gift (1.01) einen durchaus vielversprechenden, zugegebenermaßen aber mit Infos und Figuren reichlich überfrachteten Anfang nimmt, leistet sich der Cyberpunk-Vertreter ausgerechnet in den späteren Folgen nicht nur manche Schwäche, sondern verändert und verzerrt zuweilen auch gehörig die zugrundeliegende Buch-Vorlage Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm, die hierzulande seitens Heyne in weiser Voraussicht des nahenden Serienstarts neu aufgelegt worden ist, was grundsätzlich nicht verwerflich sein mag, hier aber oft zugunsten wirklich stereotyper TV-Klischees geschieht, die man schon einmal zu oft gesehen hat, als dass sie noch überraschen, geschweige denn fesseln könnten.
© Netflix
Fangen wir aber bei den Vorzügen der Serie an und die liegen unter anderem ganz klar bei der optischen Ausgestaltung der zukünftigen Erde, die sich reichlich unverhohlen am Genre-Klassiker Blade Runner orientiert, damit aber freilich auch nicht viel falsch machen kann und die meiste Zeit wirklich unverschämt gut aussieht, auch wenn man sich in Zeiten einer Blade Runner-Fortsetzung, einer Anthologie-Serie ausgewählter Philip K. Dick-Kurzgeschichten sowie einer Realverfilmung von Ghost in the Shell an diesem spezifischen Look beinahe sattzusehen droht, doch kann man das Altered Carbon natürlich auch schlecht zum Vorwurf machen, zumal hier auch durchaus eigene visuelle Konzepte verfolgt werden wie etwa die direkt in die Augen implantierten Kommunikationslösungen, die im Nacken befindlichen "Stacks", die sozusagen die Seele einer jeden Person beinhalten, aber auch und speziell das ungemein ausgeprägte Gehör von Hauptfigur Takeshi Kovacs, das mit beeindruckenden, in gänzliche Schwärze getauchten Lichtmalereien die Silhouetten nahender Feinde umreißt, was in etwa dem entspricht, was ich mir schon bei der ebenfalls von Netflix stammenden Serie Daredevil für Matt Murdocks "inneres Auge" erhofft hätte.
In dieser Hinsicht bietet Altered Carbon also die meiste Zeit ohne Frage Spielfilm-Niveau und begünstigt dadurch natürlich rein von den visuellen Reizen her die Immersion einer ansonsten gänzlich unbekannten Welt, in der eben von Stacks, Needlecasts, Dippern, Resleeving und vielem mehr die Rede ist, was mir persönlich jetzt zwar alles schon etwas gesagt hat (durch Kenntnis der Buchvorlage), den gänzlich unvorbelasteten Zuschauer aber zuweilen auch etwas überfordern könnte, zumal man sich einerseits bemüht, ein Übermaß an Information in die oft spärlichen Dialogzeilen zu pressen und damit ein Stück weit die Faszination dieser futuristischen Konzepte zu untergraben, sich andererseits mit konkreten Informationen, beispielsweise Fraktionen wie das Protektorat oder die Siedler-Kolonie Harlans Welt betreffend, arg zurückhält, so dass mancher Schlagabtausch zu bloßem Name-Dropping verkommt. Entsprechend schwer ist für mich aber auch zu beurteilen, ob und inwieweit die Geschichte bei gänzlich fehlendem Vorwissen funktioniert, derweil man sich mit den Offenbarungen der zweiten Staffelhälfte wohl weitaus eher wird anfreunden können, wenn man nicht um die originäre Story der Vorlage weiß.
© Netflix
Dafür allerdings kam ich mit Joel Kinnaman – den ich bis dato bewusst nur aus Run All Night kannte – als Takeshi Kovacs von Anfang an gut klar, zumal er diese gewisse Arschloch-Attitüde verströmt, die auch dem Antihelden aus dem Buch seine spezielle Aura verliehen hat, was insofern gut und wichtig war, da man hier auch an der Vorgeschichte des Protagonisten geschraubt hat, um ihn den Bedürfnissen des Publikums anzubiedern, so dass er hier Teil einer Widerstandsbewegung gewesen ist, bevor sein "Stack auf Eis gelegt" worden ist, was ihn natürlich moralisch weit weniger ambivalent erscheinen lässt als zu hoffen gewesen wäre. Überhaupt misst man hier der Vorgeschichte der Figur weitaus mehr Bedeutung bei, was schlussendlich in die Episode Nora Inu (1.07) mündet, die im Grunde als einzige, große Rückblende konzipiert ist und das Geschehen leider doch spürbar ausbremst, doch scheint Netflix seit den zahllosen Superhelden-Serien-Produktionen ein ausgemachtes Faible für derartige Episoden entwickelt zu haben, die eben mal mehr, mal weniger gut zu funktionieren wissen.
An Kinnamans Seite wiederum stellt man mit Martha Higareda eine mir bislang unbekannte Darstellerin als Verkörperung der aufbrausenden Polizistin Kristin Ortega, die hier weitaus mehr zu tun bekommt als noch im Buch, wobei man auch hier mehr als einmal über das Ziel hinausschießt, aber gut, immerhin etabliert sie sich dergestalt als wehrhafte Komplizin des kampferprobten Envoy, der sich manches Mal mit wortlosem Grimm durch regelrechte Gegnerhorden schnetzelt. Der Umstand, dass es sich bei Kinnamans Gestalt allerdings mitnichten um Kovacs‘ Ursprungs-Sleeve handelt und er in den Rückblenden stattdessen das Konterfei von Will Yun Lee verliehen bekommt, funktioniert tatsächlich sehr gut, während Altered Carbon mehr als einmal gekonnt mit der Möglichkeit spielt, dass jede Person in jedweden Sleeve zu schlüpfen imstande ist, womit hier die Netflix-Produktion der Grundausrichtung der Geschichte tatsächlich zusätzliche Facetten hinzuzufügen versteht, statt sie lediglich zu simplifizieren. Eigentlich ist aber gerade dieser Umstand exemplarisch für das doch beinahe durchwachsen zu nennende Gesamtergebnis, denn wo man an einer Stelle sinnvolle Ergänzungen vornimmt und manches Plot-Detail, beispielsweise Kristins Familie betreffend, bewusst vertieft, werden andernorts kompliziert scheinende Zusammenhänge zu einem diffusen Brei verrührt, der oft nicht annähernd der dem Gefühl nach doch spürbar intelligenteren Vorlage nur unter Vorbehalt gerecht wird.
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Besonders schlimm wird dies zum Ende hin, wenn alles in eine große und ausufernde Action-Chose auszuarten droht, denn das sorgfältige World-Building und die in den ersten Folgen aufgebaute Noir-Atmosphäre drohen hier doch gehörig unter dem Effekt-Reigen zu leiden, zumal die in der zweiten Hälfte offerierten Twists eben auch nicht wirklich zu überzeugen oder zu überraschen wissen. Nichtsdestotrotz hatte ich durchaus meine gehörige Freude an Altered Carbon, zumal bei aller Kritik eine Umsetzung dieses interessanten wie moralisch ambivalenten Stoffes deutlich enttäuschender hätte ausfallen können. Manche Änderungen wiederum lassen sich derweil ja nun einmal auch auf schlichte rechtliche Probleme zurückführen, so dass etwa das von einer KI geleitete Hotel "Hendrix" in der Serie nun als "Raven" in Erscheinung tritt und die Manifestation des Hotels eben Edgar Allen Poe nachempfunden ist, was ich persönlich als schönen Kniff empfunden habe, denn einerseits macht Chris Conner als Poe einen ungemein charismatischen Job, andererseits wirkt das viktorianisch angehauchte Interieur des Hotels als gelungener Kontrapunkt gegenüber den von Unrat und Neonreklamen dominierten Straßen der Stadt.
Ansonsten wird der beinahe schon irritierend umfangreiche Cast natürlich zunächst einmal von James Purefoy (Hap and Leonard) veredelt, der als Laurens Bancroft und damit Auftraggeber und "Meth" gehörig zu glänzen versteht, während ich natürlich von dem Gastauftritt von Michael Eklund (Dirk Gentlys holistische Detektei), speziell in der Episode Ein einsamer Ort (1.03) begeistert gewesen bin, die ohnehin eines meiner persönlichen Highlights der Staffel dargestellt hat, weil hier auch das Konzept der Virtualität aufs Trefflichste eingefangen worden ist, während es ebenfalls meiner persönlichen Serien-Vorgeschichte zuzurechnen ist, dass ich mich so enorm über Adam Busch (Buffy) als Techniker Mickey gefreut habe.
© Netflix
Nun könnte ich so immer weiter über diese oder jene Figur referieren, doch bei den weiteren Charakteren und ihrer Ausgestaltung bewegt man sich eben auch schnell auf gefährliches Spoiler-Terrain, weshalb ich es dabei belassen möchte und stattdessen noch auf einen Aspekt eingehen will, der bereits des Öfteren im Zusammenhang mit Altered Carbon thematisiert worden ist, nämlich den hohen Grat an Nacktheit, der einem hier serviert wird, denn auch wenn man argumentieren könnte, dass hier lediglich auf die niederen Instinkte des geneigten Publikums abgestellt wird – und zu sehen gibt es für alle Geschlechter und Vorlieben zweifelsohne reichlich – transportiert dieser nicht nur ungezwungene, sondern oftmals regelrecht offensive Umgang mit dem nackten Körper natürlich auch eine der Kernaussagen des Themas an sich, denn Körper sind in dieser fiktiven Zukunft längst zur Ware geworden und wo heutzutage teure Utensilien, Schönheits-OPs und Marken-Klamotten Wohlstand und Reichtum suggerieren, ist es in dieser Zukunft eben die Möglichkeit, sich schlichtweg mit dem "besten" Körper auszustatten, die ein untrügliches Indiz für die Position in der Hierarchie der Menschen darstellt, in der die Meths – also quasi Unsterbliche, der Name abgeleitet von Methusalem – schon lange wie Götter verehrt werden und entsprechend stolz sind auf ihre makellosen Sleeves, so dass der Körper mehr denn je zum Status-Symbol oder im Falle von beispielsweise Kovacs zu einer Art Werkzeug mutiert ist und diesbezüglich mag Schamgefühl kaum noch im Repertoire menschlicher Gefühle zu finden sein.
Neben dem Gedankenspiel um die Unsterblichkeit des Menschen, der sich – entsprechende finanzielle Mittel vorausgesetzt – beliebig resleeven kann, widmet sich Altered Carbon aber durchaus noch weiteren interessanten, regelrecht philosophischen Ansätzen, die jedoch leider im Kontext der Noir-Atmosphäre, des in die Handlung gebetteten Krimis und dem sich im letzten Drittel entfaltenden Thrillers oftmals etwas kurz kommen und zweifelsohne eingehender behandelt hätten werden können, wobei sich die Serienschöpfer immerhin speziell dem Glaubenskonzept und der Unversehrtheit der menschlichen Seele widmen, die wiederum eng verknüpft sind mit der eigentlichen Handlung, auch wenn das zu Beginn noch gar nicht so offenbar zu sein scheint. Entsprechend weiß die Serienadaption mehr als einmal zum Nachdenken zu verleiten und überrascht in konzeptioneller Hinsicht des Öfteren, während es in vielen Fällen einfach noch ein wenig mehr Mut erfordert hätte, entweder der Vorlage weitergehend treu zu bleiben oder alternativ zwar eigene Wege zu beschreiten, sich hierbei aber nicht an von anderen Projekten längst eingeschlagenen Pfaden zu orientieren, so dass Altered Carbon in vielen Punkten schlicht und ergreifend einfach nur der letzte Schliff, dieses kleine Quäntchen Großartigkeit fehlt, um als regelrecht außergewöhnlich gelten zu können. Doch auch wenn die Netflix-Serie diese letzte Hürde nicht zu nehmen können scheint, sollten nicht nur Cyberpunk-Fans sich diese doch trotz kleinerer Schwächen ungemein lohnenswerte und überraschend kompromisslose Serienunterhaltung nicht entgehen lassen.
Altered Carbon | Staffel 1
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Zerstörte Stacks - 8/10
8/10
Fazit & Wertung:
Mit Altered Carbon liefert Netflix eine überzeugende Adaption des gleichnamigen und preisgekrönten Buches ab und weiß insbesondere in visueller Hinsicht schwer zu beeindrucken. Dabei ist es in vielen Fällen unverständlich, wieso man sich gerade in der zweiten Hälfte der Staffel vermehrt von der konzeptionell gelungeneren Vorlage entfernt und stattdessen so manches Klischee bedient, das man auch gerne hätte ignorieren können. Nichtsdestotrotz in der Summe eine gelungene und spannende Produktion, die das Cyberpunk-Genre nun auch im Serienformat in neuem Glanz erstrahlen lässt.
Episodenübersicht: Staffel 1
02. Mord in der Hochzeitsnacht (8/10)
03. Ein einsamer Ort (8,5/10)
04. Die Macht des Bösen (8/10)
05. Der falsche Mann (8,5/10)
07. Nora Inu (7,5/10)
08. Vor dem neuen Tag (8/10)
09. Gefährliche Liebe (8,5/10)
10. Die Killer (8/10)
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Altered Carbon | Staffel 1 ist seit dem 02.02.18 exklusiv bei Netflix verfügbar.
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