Und wir bleiben dem Credo des Kontrastprogramms treu und ich präsentiere als Thema der zweiten Filmkritik für diese Woche einen kammerspielartigen Thriller, von dem ich mir deutlich mehr erhofft hatte, aber das kann ja auch schon wieder meine eigene Schuld gewesen sein. Lest ruhig trotzdem mal rein.
Berlin Syndrom
Berlin Syndrome, AU 2017, 116 Min.
© Sony Pictures Home Entertainment Inc.
Cate Shortland
Shaun Grant (Drehbuch)
Melanie Joosten (Buch-Vorlage)
Drama | Horror | Mystery | Thriller
Trailer:
Inhalt:
© Sony Pictures Home Entertainment Inc.
Voller Enthusiasmus und Neugierde erreicht die australische Backpackerin Clare Berlin und beginnt, durch Kreuzberg zu stromern und das Feeling der deutschen Metropole in sich aufzusaugen. Durch einen Zufall trifft sie derweil auf den Lehrer Andi, auf den sie alsbald ein Auge wirft und sich daher letztlich entschließt, ihn nach Hause zu begleiten. Noch vor dem Sex raunt er ihr zu, sie könne so laut sein wie sie will, es würde sie niemand hören, doch am nächsten Morgen schon folgt das böse Erwachen, denn die junge Frau hatte ursprünglich geplant, nach Dresden aufzubrechen, findet jedoch die Wohnungstür verschlossen vor. Abends beteuert Andi, dass es sich um ein Versehen gehandelt habe und lässt ihr für den nächsten Morgen den Wohnungsschlüssel zurück. Der allerdings will partout nicht passen und schnell dämmert Clare, dass sie in der Falle sitzt…
Rezension:
Auf Berlin Syndrom war ich ja allein deshalb schon so gespannt, da dergestalt reduzierte, regelrecht kammerspielartige Filme auf mich einen besonderen Reiz ausüben und oftmals aufzeigen, wie man mit vergleichsweise wenigen Mitteln dennoch ein intensives Filmerlebnis zu generieren versteht. Nicht ganz uninteressant auch, dass der Film in unserer heimischen Metropole steht, auch wenn es vom Ruhrgebiet aus ein ganzes Stück bis nach Berlin ist, doch trotzdem freut man sich natürlich, wenn auch mal Gefilde abseits von New York und Los Angeles als Filmkulisse taugen. Der Blick auf Berlin aus Sicht der australischen Backpackerin Clare ist dabei zweifelsohne und bewusst touristisch gehalten, was ja aber im Kontext ihrer Figur durchaus Sinn ergibt, so dass der Film hier atmosphärisch auf den ersten Metern bereits einiges an Boden gut macht, auch wenn mancher über die vielen Klischees die Nase rümpfen mag. Wirkliche Bewandtnis hat das alles aber ohnehin nicht, denn in dem Moment, als Clare an den vermeintlich so freundlichen Andi gerät und ihn schlussendlich nach Hause begleitet, wandelt sich der Film ohnehin zu einem wirklichen Kammerspiel und man bekommt von der Außenwelt nichts mehr mit, wenn man einmal von Andis Arbeit oder sporadischen Besuchen bei dessen Vater absieht.
© Sony Pictures Home Entertainment Inc.
Bemerkenswert ist dieser abrupte und erwartete Szenenwechsel aber auch deshalb, da man Andis Wohnung kurzerhand in Melbourne nachgebaut hat, so dass ein Großteil der Szenen im Apartment letztlich in Australien und eben nicht Berlin gedreht worden ist. Das merkt man im fertigen Film zwar nicht, sagt aber einiges darüber aus, inwieweit die Stadt als solche eine wirkliche Rolle spielt in dem Film, dessen Titel Berlin Syndrom sich natürlich am Stockholm Syndrom orientiert. So streut man allerdings Brotkrumen, die ins Leere führen, denn abgesehen davon, immer wieder die Zerrissenheit der Stadt zu betonen und hier eine Parallele zu Andis Gebaren zu ziehen, trägt Handlungsort Berlin in letzter Konsequenz herzlich wenig zur Geschichte bei, während auch vom Stockholm Syndrom hier die meiste Zeit keine Rede sein kann, denn Clare verrennt sich mitnichten in die Annahme, Andi zu lieben sondern ist sich jederzeit ihrer Situation bewusst, gaukelt ihm höchstens mancherorts so etwas wie Zuneigung vor, um ihre Gefangenschaft erträglicher zu machen.
So hätte ich mir hier ein weit ausgefeilteres Psychogramm gewünscht, derweil Teresa Palmer (Lights Out) dessen ungeachtet einen formidablen Job macht und ein feines Gespür für die unterschiedlichen Stufen von Clares Verzweiflung besitzt, die sich auch in ihrem zunehmend verhärmten Äußeren bemerkbar macht, so dass für Genre-Fans die Sichtung allein schon ihrer Darbietung wegen lohnen könnte. Andi hingegen ist weitaus stereotyper geraten, was aber gar nicht einmal an Max Riemelt liegt, sondern dem doch über weite Strecken erschreckend generischen Drehbuch liegt, denn so sehr ich mir ein ausgefeiltes Thriller-Drama gewünscht habe, ist Berlin Syndrom längst nicht so innovativ und packend geraten, wie er hätte werden können. Meinem Empfinden nach ist zudem Cate Shortlands durchaus ambitionierter Film schlichtweg mit seinen rund zwei Stunden deutlich zu lang geraten, denn während die Gefangenschaft eine intensive und zermürbende Erfahrung sein müsste – und das anfänglich auch ist – dümpelt der Film im weiteren Verlauf irritierend häufig regelrecht vor sich hin. Dabei ist oft nicht ersichtlich, ob Clare mittlerweile der Resignation anheimgefallen ist oder nur auf den richtigen Moment wartet, während einzig eine aufkeimende Zuneigung zu ihrem Entführer keine gangbare Möglichkeit darstellt.
© Sony Pictures Home Entertainment Inc.
Die Szenen um Andi auf dessen Arbeit oder bei seinem Vater vermögen ebenfalls nicht, den Film zu verbessern und sind weitestgehend überflüssig, denn auch wenn man bei der Sichtung erkennen wird, welche Aspekte die Regisseurin hier hat betonen wollen, verleihen sie der Figur letztlich keine zusätzliche Tiefe und die zu kommunizierenden Informationen hätten auch anderweitig untergebracht werden können. So zerfasert die anfänglich so intensive und bedrohliche Atmosphäre zusehends und auch wenn die eruptiven Gewaltausbrüche dadurch umso mehr zu packen wissen, bleibt Berlin Syndrom in vielen Belangen weit hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Berlin Syndrom
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Verzweifelte Fluchtversuche - 5.5/10
5.5/10
Fazit & Wertung:
Cate Shortland wagt mit Berlin Syndrom einen durchaus ambitionierten, kammerspielartigen Thriller, dessen Titel allein schon suggeriert, das Psychogramm einer destruktiven Beziehung liefern zu wollen, doch mäandert der Film stattdessen zwei Stunden vermeintlich ziellos zwischen Thriller und Drama, ohne dass wirklich das Innenleben der Protagonisten erforscht würde. Während viele überzeugende Ansätze vorhanden sind und insbesondere Teresa Palmer in der Rolle der eingesperrten Clare überzeugt, gelingt es hier nicht, echten Tiefgang oder auch nur durchgängige Spannung aufzubauen.
Berlin Syndrom ist am 22.09.17 auf DVD und Blu-ray bei Sony Pictures erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!