Review: Wonder Valley | Ivy Pochoda (Buch)

Auch heute gibt es natürlich wieder eine Buch-Rezension von meiner Seite und einmal mehr habe ich mich lediglich von Cover und Titel verleiten lassen, einen Blick zu riskieren, wobei mich auch einmal mehr mein Gespür dafür, was mir gefallen könnte, nicht im Stich gelassen hat. Warum, könnt ihr nachfolgend nachlesen.

Wonder Valley

Wonder Valley: A Novel, USA 2017, 400 Seiten

Wonder Valley von Ivy Pochoda | © ars vivendi
© ars vivendi

Autorin:
Ivy Pochoda
Übersetzer:
Sabine Roth
Rudolf Hermstein

Verlag (D):
ars vivendi
ISBN:
978-3-869-13994-4

Genre:
Drama | Thriller

 

Inhalt:

Es herrscht helle Aufregung auf der Interstate 110, in diesem Abschnitt auch als Pasadena Freeway bekannt, als eines Morgens inmitten des Pendlerverkehrs ein nackter Jogger erscheint, der unbeachtet des Trubels um ihn herum zielstrebig seiner Wege läuft. Tony, ein desillusionierter und im ewig gleichen Trott gefangener Anwalt, entschließt sich aus ihm unbekannten Gründen, dem Mann zu folgen, während der jüngst aus dem Knast entlassene Ren sich bemüht, in seinem gestohlenen Wagen nicht weiter aufzufallen, als sowohl Polizei als auch Helikopter hinzustoßen. Doch die Geschichte beginnt viel früher, vier Jahre um genau zu sein, als Ausreißerin Britt in einer Heilerkommune in der Mojave-Wüste strandet und als die beiden Verbrecher Sam und Blake sich nach einem tragischen Vorfall entschließen, in den verlassenen Bauten des Wonder Valley eine zeitweilige Zuflucht zu suchen…

Rezension:

Lange schon habe ich keinen zeitgenössischen Roman im klassischen Sinne mehr gelesen und da kommt Ivy Pochodas eigentlich dritter, aber als erstes ins Deutsche übersetzter Roman Wonder Valley gerade recht, um mir aufzuzeigen, dass ich dies doch gerne wieder öfter tun sollte. Bereits von Michael Connelly auf der Rückseite als "klassischer L.A.-Roman" bezeichnet (solche Aussagen sollte man ja immer mit Vorsicht genießen), kann ich dem zwar nicht wirklich zustimmen, aber durchaus attestieren, dass es sich um einen glänzend durchkomponierten, in seinem kaleidoskopischen Blickwinkel durchaus faszinierenden Episodenroman handelt. Der widmet sich einerseits fünf verschiedenen, auf unterschiedliche Art und Weise vom Schicksal gebeutelten Figuren und bewegt sich andererseits auf zwei Zeitachsen, namentlich den Jahren 2006 und 2010, auf denen sich die jeweiligen Ereignisse fortbewegen und zunehmend miteinander zu verschachteln beginnen. Das mag nicht grundsätzlich neu sein, ist aber seitens Pochoda mit reichlich Verve und Gefühl für Timing und Dramaturgie entworfen, auch wenn sich die Spannung zunächst in Grenzen hält.

Die Stadt, an die man immer denkt, erstreckt sich im Westen, jenseits der wuchernden Ausländerviertel, wo Koreaner Seite an Seite mit Salvadorianern leben, Armenier Rücken an Rücken mit Thais. Sie beginnt bei den langen Boulevards mit den klingenden Namen, die gesäumt sind von altmodischen Kinos, abgehalfterten Tropenmotels und Restaurants mit livrierten Türstehern, und endet, wo die Straßen in den Strand auslaufen. Aber hier in dem Einschnitt, den sich die 110 durchs Zentrum gräbt, ist diese andere Stadt kaum eine Erinnerung. Hier gibt es nur die Blechlawine der Autos und die spiegelnden Flächen verglaster Wolkenkratzer.

Es sind Miniaturen, welche die Autorin entwirft, die den Plot gerne auch mal in den Hintergrund treten lassen und sich in schwelgerischen Schilderungen verlieren, was allerdings nur einschläfernd klingt, dank schillernder Bilder aber für sich einzunehmen weiß. Größeres Problem könnte mitunter sein, dass Wonder Valley lange Zeit damit hinter dem Berg hält, wohin die Geschichte sich eigentlich bewegen und was sie erzählen möchte, denn außer, dass wir es hier mit einer Handvoll verkrachter Existenzen zu tun haben, halten sich die Überlappungen und Querverweise zunächst in Grenzen. Aber auch hier bricht benanntes Gefühl für Timing durch, denn gerade, wenn man sich möglicherweise zu langweilen droht, liefert eine schicksalsträchtige Begegnung, die sich ziemlich exakt in der Mitte des Buches ereignet, erhellende Erkenntnisse. Ab diesem Moment wird der Roman wiederum auf gänzlich andere Weise faszinierend, denn während die erste Hälfte noch der Exposition der zahlreichen Figuren und Settings gedient hat, macht sich die Autorin nun daran, die einzelnen Fäden miteinander zu verknüpfen.

Ich muss zwar zugeben, dass mir ab dieser besagten Begegnung vieles bereits klar zu werden begann und mich der Roman nicht mehr in originärer Weise zu überraschen wusste, doch verstärkte sich dadurch auch der Drang, schnellstmöglich weiterzulesen, zur nächsten Szene zu kommen, zu erfahren, ob die annahmen und Mutmaßungen ins Schwarze treffen und wie genau die Schicksale nun miteinander verknüpft sind. Dabei bleiben für meinen Geschmack interessante Figuren wie etwa oben genannter Anwalt Tony ein wenig zu sehr auf der Strecke, während Pochoda dem Ex-Sträfling Ren für meinen Geschmack Zeit und Aufmerksamkeit über Gebühr widmet, doch liegt das natürlich in der zu erzählenden Geschichte begründet und ich bin mir im klaren darüber, dass teils der ersonnene Plot eben nicht mehr herzugeben imstande war. So wirkt Wonder Valley in wenigen, kleinen Momenten dann auch ärgerlicherweise wie Aufschneiderei, denn während Tony zumindest noch als Bindeglied fungiert, wirkt vieles, was Ren hier widerfährt, wie bloßes Füllwerk auf dem Weg zu dem, was die Autorin eigentlich zu vermitteln trachtet. Dahingegen ist der Part um Britt außerordentlich gelungen, auch wenn man einer derartigen Kommune sicherlich nicht zum ersten Mal in Buch oder Film begegnet. Hier stoßen dann auch James und Owen, Zwillinge, zum Geschehen, die nicht unmaßgeblich zur sich verschachtelnden Handlung beitragen, derweil es zuletzt noch die Verbrecher Blake und Sam hat, die im namensgebenden Wonder Valley Zuflucht suchen.

Die Schnellstraßen sind immer für ein Spektakel gut. Dieses Jahr hat schon eine unentdeckte Rockband die 101 zwischen Sunset und Hollywood Boulevard abgeriegelt, um auf der Ladefläche eines Pritschenwagens ein Konzert zu geben, auf der 5 sind aus einem stehenden Kombi drei Pudel entwischt, die sich zwischen Burbank und Los Feliz Boulevard ein Wettrennen lieferten, und auf der 405 Richtung Norden hat sich eine verlorene Ladung Zwiebeln über alle vier Spuren verteilt. Es gab zwei Autoverfolgungsjagden, die mit Schüssen und lodernden Flammen endeten, und auf der 10 kurz vor dem Flugplatz von Santa Monica musste eine Propellermaschine notlanden. Immer wieder legen hier das Unerwartete, das Bizarre und das Tragische den Verkehr lahm und vereinen die Blicke der Stadt auf sich.

Wie genau die Schicksale und Zeitachsen sich zu überlappen gedenken, werde ich freilich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen, doch bildet Wonder Valley in seiner Gänze schon einen durchaus faszinierenden Episodenroman, dessen eher antiklimatisches Finale aber gerne etwas überraschender oder wuchtiger hätte ausfallen können, denn nachdem man ohnehin in der zweiten Hälfte zu ahnen beginnt, wie alles zusammenhängt, hätten es hier gerne noch einige Überraschungen mehr sein dürfen, was aber nichts daran ändert, dass ich die Lektüre sehr genossen habe. Als "klassischer L.A.-Roman", wie eingangs aufgegriffen, würde ich das Buch allerdings schon dahingehend nicht bezeichnen, da dessen Handlung sich – abgesehen vom Freeway im Prolog – in weiten Teilen auf Twentynine Palms und Wonder Valley sowie das Viertel Skid Row in Downtown Los Angeles konzentriert. Diese Wahl der Handlungsorte ist sicherlich sorgfältig gewählt und unterstützt thematisch den vorherrschenden Fatalismus, den Wunsch nach Aufbruch, Flucht, Abkehr, der hier vorherrschendes Thema ist, doch zeigt er eben auch nur einen kleinen Ausschnitt einer noch weitaus vielschichtigeren Metropole, die hier zwar eine tragende, aber nicht maßgebliche Rolle spielt.

Fazit & Wertung:

Mit Wonder Valley liefert Ivy Pochoda ein im besten Sinne cineastisch wirkendes Episodenkonstrukt, das sich auf zwei Zeitebenen anschickt, fünf Einzelschicksale in und um Los Angeles herum zu beleuchten, die aus unterschiedlichen Gründen auf Ab- und Irrwege geraten sind und deren Geschicke sich unweigerlich miteinander verbinden. Kleinere Längen und Redundanzen lassen sich in diesem ansonsten schillernd wie eindrücklich geschilderten Roman daher mühelos verzeihen.

8 von 10 miteinander verwobenen Schicksalen

Wonder Valley

  • Miteinander verwobene Schicksale - 8/10
    8/10

Fazit & Wertung:

Mit Wonder Valley liefert Ivy Pochoda ein im besten Sinne cineastisch wirkendes Episodenkonstrukt, das sich auf zwei Zeitebenen anschickt, fünf Einzelschicksale in und um Los Angeles herum zu beleuchten, die aus unterschiedlichen Gründen auf Ab- und Irrwege geraten sind und deren Geschicke sich unweigerlich miteinander verbinden. Kleinere Längen und Redundanzen lassen sich in diesem ansonsten schillernd wie eindrücklich geschilderten Roman daher mühelos verzeihen.

8.0/10
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Weitere Details zum Buch und der Autorin findet ihr auf der Seite von ars vivendi. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Wonder Valley ist am 11.02.19 bei ars vivendi erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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