Review: Stronger (Film)

Heute komme ich mit einem weiteren Film daher, der sich der Ereignisse beim Boston Marathon von 2013 annimmt, dabei aber eine gänzlich andere Richtung einschlägt als der beinahe zeitgleich entstandene, mit Mark Wahlberg nicht minder prominent besetzte Film zum Thema.

Stronger

Stronger, USA 2017, 119 Min.

Stronger | © STUDIOCANAL
© STUDIOCANAL

Regisseur:
David Gordon Green
Autoren:
John Pollono (Drehbuch)
Jeff Bauman (Buch-Vorlage)
Bret Witter (Buch-Vorlage)

Main-Cast:
Jake Gyllenhaal (Jeff Bauman)
Tatiana Maslany (Erin Hurley)
in weiteren Rollen:
Miranda Richardson (Patty)
Clancy Brown (Big Jeff)

Genre:
Biografie | Drama

Trailer:

 

Inhalt:

Szenenbild aus Stronger | © STUDIOCANAL
© STUDIOCANAL

Boston im Frühjahr 2013. Der prestigeträchtige Boston Marathon steht kurz bevor und Erin Hurley hat einmal mehr mit ihrem Freund Jeff Bauman Schluss gemacht, dessen unzuverlässige Art sie in den Wahnsinn treibt. Bislang haben die beiden aber stets wieder zueinander gefunden und Jeff ist nicht gewillt, aufzugeben, weshalb er Erin verspricht, sie an der Ziellinie der Marathonstrecke zu erwarten, an dem sie als Läuferin teilnimmt. Und tatsächlich steht er mit selbstgebasteltem Plakat am Patriot’s Day nahe der Strecke, als sich in kurzer Folge zwei Explosionen ereignen. Jeff landet im Krankenhaus und den herbeieilenden Eltern Patty und Jeff eröffnen die Ärzte, dass sie Jeff beide Beine oberhalb der Knie amputieren mussten. Nicht nur Jeff, seine Familie und Erin stehen unter Schock, doch dann beginnt Jeff sich zu erinnern und erkennt, dass es den Täter gesehen hat. In weiterer Folge wird er zu einem Volkshelden stilisiert und von der Stadt Boston gefeiert, was ihm allerdings kaum dabei hilft, mit den schrecklichen Ereignissen jenes Tages und deren Folgen zurechtzukommen…

Rezension:

Zur selben Zeit, als sich Regisseur Peter Berg mit Boston an einer Aufarbeitung der Geschehnisse beim Bostoner Marathon im April 2013 gewidmet hat und sich hierbei auf die anschließenden Ermittlungen und die Ergreifung der Täter konzentriert hat, widmete sich Regisseur David Gordon Green – den ich bislang nur durch den von Klamauk und Fäkalhumor dominierten Your Highness kannte – mit Stronger einer Art dramaturgischem Gegenentwurf zu Bergs Streifen. Gleichsam kann man die auf den gleichnamigen Memoiren von Jeff Bauman fußenden Ereignisse aber auch als Ergänzung zu Bergs Werk betrachten, zumal Bauman auch dort als Nebenfigur in Erscheinung getreten ist. Ansonsten widmet sich Green hier dezidiert dem Einzelschicksal seines Protagonisten und nutzt dessen Perspektive, um zumindest die Stimmung im Boston dieser Tage zu skizzieren. Den schon bei Boston befürchteten Hurra-Patriotismus spart Green sich freilich genauso und nimmt ihn gar kritisch unter die Lupe, wenn die Bostoner Bevölkerung Bauman unter dem Label von "Boston Strong" zum Volkshelden hochzustilisieren gedenken, während niemand einen Blick dafür zu haben scheint, wie sehr der junge Mann durch diesen äußeren Druck noch zusätzlich zu leiden hat.

Szenenbild aus Stronger | © STUDIOCANAL
© STUDIOCANAL

Auch anhand von Jeffs Mutter Patty – zielsicher verkörpert von Miranda Richardson (Testament of Youth) – arbeitet sich Green am Thema der Heldenverehrung in seiner spezifisch amerikanischen Ausprägung ab und kreiert oft beinahe surreal anmutende Szenen. Wenn Patty sich – freilich mit den besten Absichten – dafür einsetzt, dass ihr Jeff von Oprah interviewt wird oder einen weiteren öffentlichen Auftritt absolvieren darf, immer fest dem Glauben verhaftet, die Aufmerksamkeit und der Zuspruch würden ihm helfen, sein Schicksal zu akzeptieren, dann wird sie mitnichten als Rabenmutter gebrandmarkt, es fehlt ihr schlichtweg am Blickwinkel ihres Sohnes, der dem Zuschauer hingegen auf dem Silbertablett serviert wird. Überhaupt bleiben Kamera und Geschehen bei Stronger immer nah an Jeff und schaffen eine eindringliche, intime Atmosphäre, die sich sehr mit dem Leiden von Jeff auseinandersetzt. Drehbuchautor John Pollono umschifft dabei zum Glück gekonnt Plattitüden und skizziert einen sowohl von Fortschritten als auch Rückschlägen geprägten Weg, der Jeff wie auch den Zuschauer erst langsam mit der zurückkehrenden Erinnerung an die brutale Unmittelbarkeit der Zeit direkt nach dem Anschlag heranführt.

Dadurch wirken das Geschehen du Jeffs schwankender Gemütszustand ungemein organisch und nachvollziehbar und sind zum Glück weit entfernt von plakativem Betroffenheits-Kino, wobei die meiste Ehre natürlich Jake Gyllenhaal (Enemy) gebührt, der einmal mehr mit einer regelrechten Ausnahmeleistung aufwartet in seiner Verkörperung von Jeff Bauman. Und endlich einmal begeht man nicht den Fehler, die weiteren Figuren darüber zu vernachlässigen, denn nicht minder beeindruckend ist auch die darstellerische Leistung seitens Tatiana Maslany (Orphan Black) als Erin Hurley, die ebenfalls zwiegespalten und überfordert ob der Situation ist. Schließlich gibt sie sich einerseits die Schuld daran, dass Jeff zum fraglichen Zeitpunkt überhaupt an der Strecke zugegen gewesen ist, weiß andererseits auf einer weniger emotionalen Ebene, dass sie natürlich keine Schuld trifft und dies vor allem keine Rechtfertigung sein kann, sie als Prellball für überkochende Emotionen zu missbrauchen, was sowohl von seitens Jeff als auch Patty des Öfteren passiert.

Szenenbild aus Stronger | © STUDIOCANAL
© STUDIOCANAL

Nichtsdestotrotz wäre so eine Geschichte aber natürlich schwerlich für das Kino aufzubereiten, wenn es nicht auch einen Silberstreif der Hoffnung am Horizont gäbe und so mündet natürlich auch dieses biografisch geprägte Tatsachen-Drama in eine zu erwartende optimistische Note, was in Anbetracht der bis dahin geschilderten Ereignisse als eine Art Katharsis nötig ist. Dennoch wird hier nichts beschönigt und wirkt vor allem nicht konstruiert, zumal es der Atmosphäre von Stronger sehr zupass kommt, dass David Gordon Green sich dazu entschieden hat, für viele kleinere Rollen nicht etwa Schauspieler zu besetzen, sondern beispielsweise auf die echte Bostoner-Krankenhausbelegschaft zurückzugreifen, so dass unter anderem die Szene, in der Jeff erstmalig seinen Verband abgenommen bekommt – eines der frühen, emotional eindrücklich inszenierten Highlights des Films – tatsächlich eine ungeskriptete Nachstellung der damaligen Ereignisse gewesen ist und nicht etwa dem Kopf von Autor Pollono entsprungen ist. Und diesem Umstand, so unbedeutend er sich im ersten Moment auch anhören mag, verdankt der Film viel von seiner Authentizität und inszenatorischen Wucht.

Fazit & Wertung:

Mit Stronger gelingt David Gordon Green ein feinfühliges und vielschichtiges Charakter-Drama, das mit Sorgfalt und Empathie eine für den Protagonisten Jeff Bauman sicherlich immens schwierige und fordernde Etappe seines Lebens nachzeichnet und dabei die Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal und Tatiana Maslany zu Höchstleistungen anspornt.

8 von 10 neu zu meisternden Alltags-Hürden

Stronger

  • Neu zu meisternde Alltags-Hürden - 8/10
    8/10

Fazit & Wertung:

Mit Stronger gelingt David Gordon Green ein feinfühliges und vielschichtiges Charakter-Drama, das mit Sorgfalt und Empathie eine für den Protagonisten Jeff Bauman sicherlich immens schwierige und fordernde Etappe seines Lebens nachzeichnet und dabei die Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal und Tatiana Maslany zu Höchstleistungen anspornt.

8.0/10
Leser-Wertung 0/10 (0 Stimmen)
Sende

Stronger ist am 06.09.18 auf DVD und Blu-ray bei STUDIOCANAL erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!

DVD:

Blu-ray:

vgw

Sharing is Caring:

Hinterlasse einen Kommentar