Review: Carnival Row | Staffel 1 (Serie)

Eigentlich wollte ich ja bereits letzte Woche brühwarm meine Kritik zu der da frisch online gegangenen Serienstaffel verfasst haben, doch Amazon Prime hat sich tatsächlich erdreistet, mir mitten in der Nacht von Freitag auf Samstag mitzuteilen, dass Probleme beim Laden der siebten Folge bestehen würden und ich es doch später noch einmal versuchen soll. Nach einigen weiteren erfolglosen Versuchen habe ich mich dann stattdessen noch mit der Playstation beschäftigt und die Staffel am darauffolgenden Tag zu Ende geschaut. Immerhin hat die Verzögerung aber dazu geführt, dass ich noch Zeit gefunden habe, mich mal wieder zeichnerisch zu betätigen und damit den Artikel aufzuhübschen. Aber jetzt geht es natürlich erst einmal um die Serie an sich, die wirklich alle meine Erwartungen erfüllt und teils übertroffen hat.

Carnival Row

Carnival Row, USA 2019-, ca 58 Min. je Folge

Carnival Row | © Amazon Studios
© Amazon Studios

Serienschöpfer:
René Echevarria
Travis Beacham
Showrunner:
René Echevarria
Travis Beacham

Main-Cast:

Orlando Bloom (Rycroft Philostrate)
Cara Delevingne (Vignette Stonemoss)
Simon McBurney (Runyan Millworthy)
Tamzin Merchant (Imogen Spurnrose)
David Gyasi (Mr. Agreus)
Andrew Gower (Ezra Spurnrose)
Karla Crome (Tourmaline)
Arty Froushan (Jonah Breakspeare)
Caroline Ford (Sophie Longerbane)
Indira Varma (Piety Breakspear)
Jared Harris (Absalom Breakspear)

in weiteren Rollen:

Alice Krige (Haruspex)
Ariyon Bakare (Darius)
Maeve Dermody (Portia Fyfe)
Jamie Harris (Sergeant Dombey)
Waj Ali (Constable Berwick)
James Beaumont (Constable Cuppins)
Tracey Wilkinson (Afissa)
Mark Lewis Jones (Magistrate Flute)
Leanne Best (Madame Moira)
Theo Barklem-Biggs (Cabal)
Ronan Vibert (Ritter Longerbane)
Chloe Pirrie (Dahlia)
Scott Reid (Quill)
Anna Rust (Fleury)
Sinead Phelps (Jenila)
Erika Stárková (Aisling)

Genre:
Fantasy | Mystery | Krimi | Drama | Thriller

Trailer:

 

Inhalt:

Szenenbild aus Carnival Row | © Amazon Studios
© Amazon Studios

Die Feeische Vignette Stonemoss – lange Jahre damit betraut, Flüchtlinge zu den Schiffen der Menschen zu eskortieren – ist letztlich gezwungen, von ihrem Heimatkontinent Tirnanoc zu flüchten, als eine Schar Soldaten vom Pakt ihr dicht auf den Fersen ist. Sieben Jahre sind vergangen, seit die Armeen der Burgue dem Feen-Kontinent den Rücken gekehrt und ihn dem Pakt überlassen haben. Vignette schafft es auf eines der Schiffe, doch gerät dieses in einen Sturm und kentert. Wie es der Zufall will, wird sie nahe der Gestade der Republik Burgue auf Mesogea an Land gespült und von der Wachtmeisterei aufgegriffen, schließlich hat sie für die Überfahrt einen Preis zu entrichten, den sie nun beim Schiffseigentümer Ezra Sprunrose abzuarbeiten hat. Der lebt mit seiner Schwester Imogen im renommiertem Finistere Crossing nördlich des Flusses Beorn. Südlich des Flusses wiederum, im Stadtteil Gloamingside, verdingt sich Kriegsveteran Rycroft Philostrate als Inspektor für Constabulary No. 6, der sich im Moment einer Reihe von Mordfällen widmet, die allesamt auf Feeische und andere nicht-menschliche Wesen zielen, die gemeinhin als Critchs bezeichnet werden und ursächlich dafür sind, dass Gloamingside seit langem in der Burgue nur noch als "Carnival Row" bekannt ist.

Dorthin führt es auch Vignette, die darum weiß, dass ihre alte Freundin Tourmaline sich dort niedergelassen hat. Sie ist es auch, die Vignette letztlich eröffnet, dass Rycroft noch am Leben ist, denn beide verbindet eine gemeinsame Vergangenheit auf Tirnanoc zu Zeiten des Krieges der Burgue gegen den Pakt. Rycroft indes ahnt nicht, dass Vignette es ebenfalls in die "Carnival Row" verschlagen hat und geht weiter seinen Ermittlungen nach, doch scheint es, als würden der Stadt weit größere Probleme bevorstehen, denn ein vermeintlich Irrer kündet vom Erwachen "alter Götter", was sich zumindest dahingehend bewahrheitet, dass bald ein weiterer, blutiger Mord an der Sängerin Aisling die feeische Gemeinde erschüttert. Von all dem unbeeindruckt, stehen sich derweil im Parlament der amtierende Kanzler Absalom Breakspear und der nationalistisch Oppositionsführer Ritter Longbane gegenüber und debattieren über den nicht abreißenden Strom an immigrierenden Critchs. Fernab der Sitzungen auf King’s Hill hat Breakspear aber auch noch andere Sorgen, denn sein Sohn Jonah, dem eine große Zukunft prophezeit worden ist, treibt sich des nachts lieber in der "Row" um, anstatt sich seinen Studien zu widmen…

Rezension:

Es gibt wohl kaum eine Serie, auf deren Erscheinen ich in diesem Jahr mehr hingefiebert habe – vielleicht abgesehen von Good Omens – als die von Travis Beacham ersonnene Carnival Row, wobei ich zugeben muss, dass schnell klar würde, dass meine – nicht geringen – Erwartungen noch übertroffen würden. Denn wer auch nur einen Blick beim Trailer riskiert oder sich nun eben der ersten Episode Some Dark God Wakes (1.01) widmet, würde meinen, man hätte es wieder mit einer der ambitionierten und derzeit so beliebten Buch-Adaptionen zu tun, woher dann wahrscheinlich auch – neben dem Fantasy-Anteil – die vielbemühten Vergleiche zu Game of Thrones stammen mögen, doch ist dieser Ansatz, die Idee dahinter schon völlig falsch, denn vergleichen lässt sich Beachams‘ Show mit kaum etwas, was man dieser Tage zu sehen bekommt. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass es sich ursprünglich um den Entwurf zu einem Film mit Namen A Killing on Carnival Row gehandelt hat und aus dem nun nach insgesamt siebzehn Jahren vorliegende erste Serienstaffel geworden ist. Das ist für sich genommen nicht bemerkens- oder nennenswert, doch hat es zur Folge, dass die Show mit derart umfangreichem Background daherkommt, das man sich prompt in einer akribisch ausgearbeiteten, bis ins letzte Detail durchdachten Welt wiederfindet, die nicht einfach nur auf den Steampunk-Dampfer aufspringt und die Urban-Fantasy-Welle reitet, sondern sich als etwas gänzlich Neues präsentiert, dem gleichermaßen dramaturgische wie auch zeitgeistliche Brisanz innewohnt.

Szenenbild aus Carnival Row | © Amazon Studios
© Amazon Studios

Das mögen oft Kleinigkeiten sein, machen in der Summe hinsichtlich Worldbuilding allerdings einiges aus, so dass die Wochentage hier andere Namen haben, gleich mehrere Kontinente Erwähnung finden, die Geschichte von Burgue zumindest skizzenhaft mehrere Jahrhunderte zurückreicht und beispielsweise der vorherrschende Glaube in der Republik dem Märtyrer – einem Gehängten – gilt. So hat sich Beacham also ohne Frage bei unserer Welt Inspiration geholt und auch vieles übernommen, aber eben nicht schlicht ein Steampunk-Korsett übergestülpt oder eine Mittelalterwelt mit Fantasy-Geschöpfen angereichert, sondern stattdessen etwas gänzlich Neues geschaffen, mit politischen Verwicklungen und uralten Fehden, unerforschten Ländern und mysteriösen Gestalten, die freilich hier und innerhalb der ersten Staffel Carnival Row größtenteils nur angeschnitten werden, aber eben den großen Unterschied ausmachen zwischen einer "nur" spektakulär aussehenden Serie oder einer ganz eigenen Welt, die zu erkunden es schnell in den Fingern juckt. So könnte man jetzt und nach gerade einmal acht Episoden – vielleicht noch unter Zuhilfenahme der Trivia-Einträge in der IMDb – ein auf dieser Welt fußendes Computer- oder Rollenspiel entwickeln, ergänzende Geschichten liefern und ein ganzes Franchise aus dem Boden stampfen, was ich in dieser Form und Ausgestaltung bisher nicht erlebt habe, wenn man eben einmal von den genannten Adaptionen absieht, die selbst auf eine literarische Vorlage blicken und daraus schöpfen können.

So stehen zwar im Mittelpunkt der Ereignisse durchaus wie erwartet der von Orlando Bloom (Zulu) verkörperte Inspektor Rycroft Philostrate und die frisch von Tirnanoc geflohene Fee Vignette Stonemoss, ihrerseits dargestellt von Cara Delevingne (Valerian), doch bietet Canrnival Row noch so viel mehr (wie auch schon meiner Inhaltsangabe zu entnehmen) und widmet sich an unterschiedlichsten Orten den Geschicken der Bewohner der Burgue, ob es sich hierbei um die Geschwister Imogen und Ezra Spurnrose in Finistere Crossing und deren neuen Nachbarn, den Faun Mr. Agreus handelt, den Kanzler Breakspear (Jared Harris, The Expanse) und seine Frau Piety (Indira Varma, Rom), deren Familie und die Rangeleien im Parlament oder eben die Bewohner der "Carnival Row", die militante Gruppe der Black Raven und eine religiös-fanatische Vereinigung von Faunen. Das mag vielleicht viel wirken, fließt aber so gekonnt Stück für Stück in die Erzählung, dass man sich an all den Geschichten und Verwicklungen kaum sattsehen mag. Umso erfreulicher, dass bereits seit Juli 2019 bekannt ist, dass die Serie seitens Amazon um eine zweite Staffel verlängert worden ist, denn auch wenn man hier dankbarerweise in The Gloaming (1.08) nicht mit einem Cliffhanger zurückgelassen wird, ergibt sich doch einiges in Sachen Storytelling, dem man sich in der voraussichtlich und hoffentlich 2020 erscheinenden Nachfolgestaffel wird widmen können.

Szenenbild aus Carnival Row | © Amazon Studios
© Amazon Studios

Bis dahin allerdings stehen einem ja erst einmal rund acht Stunden Unterhaltung mit der ersten Staffel Carnival Row bevor und es würde mich nicht wundern, wenn diese sich zum neuen Zugpferd des Streaming-Anbieters mausert, denn hier gehen wirklich alle Qualitäten Hand in Hand, ob es sich nun um Ausstattung und Effekte, Kostüme und Kulissen, Besetzung, Dramaturgie oder Soundtrack handeln mag. Zugegeben, die ersten zwei Episoden mögen noch nicht gänzlich für sich einnehmen, da man zu diesem Zeitpunkt noch kaum weiß, wohin die Reise gehen wird oder in welcher Beziehung die beiden Hauptcharaktere zueinander stehen, doch ändert sich das spätestens mit Kingdoms of the Moon (1.03), einer frühen, aber nicht verfrühten Rückblenden-Episode, die sich den Geschehnissen auf Tirnanoc von vor sieben Jahren widmet und folglich das Kennenlernen von Rycroft und Vignette skizziert und einen Einblick in die bis dahin bereits häufiger referenzierte Fehde zwischen Burgue und dem Pakt gewährt. So ist Carnival Row nicht nur einfach eine Neo-Noir-Fantasy-Serie, sondern gleichsam die Geschichte einer (tragischen) Liebe, ein Mystery-Krimi, eine Abhandlung der Folgen von Vorurteilen und Rassismus, Ausgrenzung und Hass und natürlich lassen sich die Behandlung der Critchs, die Unterdrückung und Bevormundung der Feeischen, die abschätzigen Blicke auf die abfällig als Pucks bezeichneten Faune auf reale Verhältnisse und Ereignisse übertragen, was vielerorts der Serie auch negativ ausgelegt werden mag, doch sind es universelle und wichtige Themen, zumal die Show mitnichten zu einem Lehrstück über Inklusion und progressives Denken verkommt, sondern sich dieser Themen lediglich bedient, um eine mitreißende und bedrückende, düstere, aber vor allem hochspannende Geschichte zu erzählen, der vor allem das Potential innewohnt, noch über Jahre begeistern zu können, denn bei aller dramaturgischen Wucht ist spätestens zum Ende deutlich, dass wir uns erst am Anfang befinden.

Carnival Row | Zeichnung von Wulf Bengsch

Fazit & Wertung:

Mit der ersten Staffel Carnival Row könnte Amazon womöglich den Grundstein für ein beispielloses Fantasy-Franchise gelegt haben, denn eine derart lebendige, akkurate Welt dürfte man selten in einer Serie erlebt haben. Fähige DarstellerInnen, opulente Schauwerte und ein sorgsam durchkonstruierter Plot tun hierbei ihr Übriges, um über die Dauer von rund acht Stunden hinweg regelrecht an den Bildschirm zu fesseln und sich im Nachgang alsbald möglich zurück in die "Carnival Row" zu wünschen.

9 von 10 Vorbehalten gegenüber Feen und Faunen

Carnival Row | Staffel 1

  • Vorbehalte gegenüber Feen und Faunen - 9/10
    9/10

Fazit & Wertung:

Mit der ersten Staffel Carnival Row könnte Amazon womöglich den Grundstein für ein beispielloses Fantasy-Franchise gelegt haben, denn eine derart lebendige, akkurate Welt dürfte man selten in einer Serie erlebt haben. Fähige DarstellerInnen, opulente Schauwerte und ein sorgsam durchkonstruierter Plot tun hierbei ihr Übriges, um über die Dauer von rund acht Stunden hinweg regelrecht an den Bildschirm zu fesseln und sich im Nachgang alsbald möglich zurück in die "Carnival Row" zu wünschen.

9.0/10
Leser-Wertung 8.25/10 (12 Stimmen)
Sende

Episodenübersicht: Staffel 1

01. Some Dark God Wakes (8,5/10)
02. Aisling (8,5/10)
03. Kingdoms of the Moon (9/10)
04. The Joining of Unlike Things (8,5/10)
05. Grieve No More (8,5/10)
06. Unaccompanied Fae (9/10)
07. The World to Come (9/10)
08. The Gloaming (10/10)

 
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Carnival Row | Staffel 1 ist seit dem 30.08.19 exklusiv bei Amazon Prime Instant Video als OV/OmU verfügbar. Die deutsch synchronisierte Fassung soll ab dem 22.11.19 verfügbar sein.


vgw

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Eine Reaktion

  1. tedthethief 10. Januar 2022

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