Ich hatte es ja bereits angekündigt und nun kommt eben heute meine letzte Film-Kritik für diese Woche, nachdem ich die Serien-Besprechung gestern vorgezogen habe. Und das Warten/Verschieben hat sich (für mich) gelohnt, denn ich habe endlich ein vielgepriesenes und tatsächlich enorm gelungenes Werk nachgeholt.
1917
1917, USA/UK/IN/ES/CA/CN 2019, 119 Min.
© Universal Pictures
Sam Mendes
Sam Mendes
Krysty Wilson-Cairns
George MacKay (Lance Corporal Schofield)
Dean-Charles Chapman (Lance Corporal Blake)
Mark Strong (Captain Smith)
Andrew Scott (Lieutenant Leslie)
Richard Madden (Lieutenant Joseph Blake)
Claire Duburcq (Lauri)
Colin Firth (General Erinmore)
Benedict Cumberbatch (Colonel Mackenzie)
Drama | Thriller | Krieg
Trailer:
Inhalt:
© Universal Pictures
Es ist der 6. April 1917 und die Streitkräfte der Alliierten sowie die Deutschen bekriegen sich sein geraumer Zeit im französischen Nirgendwo, führen einen klassischen Stellungskrieg um jeden Graben und jeden Meter, doch urplötzlich scheinen sich die Streitkräfte der Deutschen zurückgezogen zu haben. Colonel Mackenzie sieht das als ein Zeichen von Schwäche und gedenkt, bereits im Morgengrauen des nächsten Tages mit 1600 Mann eine Großoffensive gegen die zurückverlegte Verteidigungslinie der Deutschen zu starten, nicht ahnend, dass die genau darauf spekulieren und bereits einen Hinterhalt vorbereitet haben, der das Unterfangen in ein Massaker münden lassen würde. Eine letzte Chance, Mackenzie zu warnen, stellen die beiden Soldaten Blake und Schofield dar, die mit einer entsprechenden Depesche losgeschickt werden, um die eigenen Stellungen, das Niemandsland und die verheerten Kampfgebiete und Ruinen zu durchqueren und Mackenzie den Befehl des Oberkommandos zu überbringen, den Angriff abzubrechen. Die Zeit drängt, doch auch die Gefahren sind zahlreich, denn die beiden jungen Soldaten ahnen kaum, was sie im Niemandsland zwischen den Fronten erwarten könnte, ungeachtet der dräuenden Frage, ob sich wirklich alle Streitkräfte zurückgezogen haben…
Rezension:
Bei seiner Kinoveröffentlichung Ende 2019 schlug 1917 prompt enorme Wellen und konnte im Jahr darauf sagenhafte zehn Oscar-Nominierungen einheimsen – von denen drei eine Auszeichnung nach sich zogen –, was auch kaum verwunderlich ist, wenn man sich Sam Mendes Werk so betrachtet, das eben nicht nur inszenatorisch aus der Masse herausragt, sondern sich auch inhaltlich und stilistisch keine Blöße gibt. Dennoch sind es natürlich zuvorderst Kameraführung und Schnitt, auf die man zu sprechen kommen dürfte, wenn die Machart des Films thematisiert wird, denn schließlich gelingt Mendes – respektive Kameramann Roger Deakins – hier das Kunststück, die beinahe zweistündige Mär wirken zu lassen, als wäre sie am Stück gedreht worden, was nicht nur handwerklich eine bravouröse Meisterleistung ist, sondern eben auch ganz anders ins Geschehen zu ziehen vermag, denn stets klebt die Kamera schier an ihren beiden Protagonisten, umkreist und beobachtet sie, schafft tote Winkel, die beklemmende Gefühle hervorrufen, fährt beiläufig an aufgedunsenen Körpern entlang und bietet mit dem omnipräsenten, beinahe gänzlich verheerten Areal vorangegangener Kriegshandlungen ein bedrückendes wie beeindruckendes Panorama. Natürlich hat es Schnitte gegeben und natürlich kann man als Zuschauer bei entsprechender Aufmerksamkeit einige der dafür infrage kommenden Stellen ausmachen, doch das ändert nichts am Ergebnis und dem Gefühl des minutiösen Miterlebens, derweil es dennoch monatelanger Vorbereitungen bedurft hat, um die oft auch üppig bemannten Kriegsschauplatz-Durchquerungen letztlich abzudrehen.
© Universal Pictures
Ein Film lebt aber freilich nicht allein von seiner inszenatorischen Idee und dem ausgeklügelten Look, den man hier zwar ohne Frage als Alleinstellungsmerkmal identifizieren kann, der sich aber ganz dem Erzählten unterordnet. Man merkt, dass es für Mendes eine persönliche Arbeit gewesen ist, die er seinem Großvater gewidmet hat und die von dessen Schilderungen in The Autobiography of Alfred H. Mendes 1897-1991. inspiriert sind. Dabei hält er sich kaum mit erklärendem Beiwerk oder ausschmückender Erzählung auf, sondern wirft direkt ins Geschehen, das unerwartet ruhig und beschaulich auf einer grünen Wise startet, bevor die Kamera sich in Bewegung setzt und offenbart, dass sich die soeben angesprochenen Soldaten unweit einer befestigten Stellung der Alliierten befinden. Die Einsatzbesprechung mit dem von Colin Firth (Genius) verkörperten General Erinmore kommt dabei beinahe der Inszenierung in einem Computerspiel gleich, doch währt das ohnehin nur wenige Minuten, bevor Blake und Schofield beherzt aufbrechen, zumal Blake von der persönlichen Motivation getrieben wird, dass sein Bruder sich ebenfalls an vorderster Front bei Colonel Mackenzie befindet, den es davon abzuhalten gilt, den Angriffsbefehl zu geben. Der frühe Auftritt von Firth ist dabei exemplarisch für die namhaften Nebendarsteller, denn sie alle spielen nur wenige Minuten eine Rolle, steuern aber allesamt markige, erinnerungswürdige Akzente zum Geschehen bei, ob es sich um Andrew Scott, Mark Strong, Benedict Cumberbatch oder letztlich Richard Madden handelt, derweil Newcomerin Claire Duburcq auf gänzlich anderer Ebene in Erinnerung zu bleiben vermag.
Zum Verlauf der Handlung lässt sich derweil nicht viel verraten, ohne nicht gleichsam auch relevante Plot-Points vorwegzunehmen, was im Fall von 1917 einem Frevel gleichkäme, denn so rudimentär und wenig vielversprechend die Handlung auf den ersten Blick klingen mag – wir sprechen hier im Grunde vom Einsatzbefehl "Gelangt von A nach B und überbringt eine Botschaft" – so viel vermag Mendes als Regisseur und Drehbuchverfasser aus dem Stoff herauszuholen, was insbesondere an seinem Gespür für szenisches Erzählen liegt, denn scheinbar bedeutungslose Wortgeplänkel zwischen zwei unerfahrenen Soldaten werden hier des Öfteren zu späteren Zeitpunkten referenziert und verleihen den Szenen eine schwer greifbare, aber omnipräsente poetische Schönheit, was natürlich im krassen Kontrast zu den Kriegsschauplätzen, den Leichen, den Bombenkratern, den verlassenen Stellungen, dem allgegenwärtigen Stacheldraht steht, welche die bedrückende Atmosphäre und die unterschwellige Gefahr in jedem Moment zu befeuern wissen. Ähnlich reduziert und gleichsam effektiv gestaltet sich der Einsatz von Musik, denn im Grunde kommt die immer nur dann zum Tragen, wenn die Ereignisse sich zuspitzen, die unmittelbare Gefahr zunimmt, was zwar ein simpler Kniff sein mag, aber grandios funktioniert, zumal die ansonsten sprichwörtlich ohrenbetäubende Stille dadurch ebenfalls an Ausdruckskraft gewinnt.
© Universal Pictures
All das wäre aber nichts – oder weitaus weniger –, wenn da nicht auch George MacKay (Das Geheimnis von Marrowbone) und Dean-Charles Chapman (Into the Badlands) wären, denn beide glänzen und brillieren in ihren Rollen als Blake und Schofield, während sie sich durch die verheerten Stellungen, das Feindes- und Niemandsland kämpfen, von Pflichtbewusstsein, Stoizismus und unerbittlichem Willen vorangetrieben, während ihnen die Angst ins Gesicht geschrieben steht und hinter jeder Ecke der Tod lauern könnte. Der ist natürlich unabdingbarer Bestandteil eines Films wie 1917 und gewinnt gerade durch die Beiläufigkeit an Schrecken, denn es gilt, so manche Stellung zu überwinden, in deren Nähe sich die Leichen stapeln, während keine Zeit zum Innehalten bleibt, wobei man merkt und spürt, dass es ein notweniger Selbstschutz ist, diese grausigen Funde weder zu beachten noch zu hinterfragen, um nicht an der Situation zu verzweifeln. Ohne große Effekthascherei, aber eben mit einem unbeschreiblich treffsicheren Gespür für Inszenierung empfiehlt sich das Werk auch als grandioser Anti-Kriegsfilm der wenigen Worte, der das bildhafte Erzählen nahezu in Perfektion beherrscht und lieber Taten sprechen lässt, nicht einfach nur als Gimmick in Echtzeit gedreht worden zu sein scheint, sondern gerade dadurch eine zutiefst intime, berührende und menschliche Geschichte erzählt, die nachhallt und bewegt.
1917
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Potentiell tödliche Gefahren - 9/10
9/10
Fazit & Wertung:
Mit 1917 gelingt Sam Mendes ein beispiellos inszeniertes Meisterwerk, das freilich für seine formale Ausgestaltung gelobt und gefeiert wird, darüber hinaus aber auch eine feinfühlig inszenierte, zutiefst menschliche und bewegende Geschichte zu erzählen hat, die mit einer regelrecht grausamen Unmittelbarkeit die Gräuel des Krieges erfahrbar zu machen sucht.
1917 ist am 28.05.2020 auf DVD, Blu-ray und 4K UHD Blu-ray bei Universal Pictures erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!
DVD:
Blu-ray:
Du hast den Film damals nicht im Kino gesehen? Da wirkt seine visuelle Wucht noch einmal eine Ebene besser. Leider hat mich “1917” emotional aber so gar nicht abgeholt. Das hat Peter Jacksons Doku “They shall not grow old” dann viel mehr geschafft, mit ähnlich bedrückenden Bildern von Schützengraben des 1. Weltkriegs.