Langsam aber sicher naht auch schon beinahe wieder das Wochenende und folglich wird es Zeit für eine weitere Film-Kritik, wobei ich mich erneut einem viel zu lang vernachlässigten und völlig zu Recht hochgelobten Werk gewidmet habe.
Still Alice
Mein Leben ohne Gestern
Still Alice, USA/UK/FR 2014, 101 Min.
© polyband
Richard Glatzer
Wash Westmoreland
Richard Glatzer (Drehbuch)
Wash Westmoreland (Drehbuch)
Lisa Genova (Buch-Vorlage)
Julianne Moore (Alice Howland)
Alec Baldwin (John Howland)
Kristen Stewart (Lydia Howland)
Kate Bosworth (Anna Howland-Jones)
Hunter Parrish (Tom Howland)
Drama
Trailer:
Inhalt:
© polyband
Dr. Alice Howland ist renommierte Linguistik-Professorin und doziert an der Columbia University in New York City. Glücklich verheiratet und als Mutter dreier Kinder könnte sie kaum ein erfüllenderes Leben führen und definiert sich in weiten Teilen über ihre gesellschaftliche Stellung und vor allem ihren Intellekt. Als ihr dann aber bei einer Vorlesung ein Wort nicht einfallen will und sie kurz darauf beim Joggen gänzlich die Orientierung verliert, sucht sie einen Arzt auf, der nach einigen Terminen und Tests bei der gerade einmal fünfzigjährigen Alice eine familiäre, also vererbbare Form von Alzheimer diagnostiziert. Von der Diagnose sichtlich getroffen, beginnt sich schnell abzuzeichnen, dass ihr Leben alsbald gründlich auf den Kopf gestellt werden wird und bald schon muss sie ihre Lehrtätigkeit aufgeben. Sowohl ihr Mann John als auch die in der Nähe lebenden Kinder Anna und Tom kümmern sich aufopferungs- und verständnisvoll um Alice, die aber freilich selbst am meisten unter der Situation leidet. Doch ausgerechnet Lydia, die als angehende Schauspielerin so etwas wie das schwarze Schaf in der Akademikerfamilie darstellt, versteht noch am ehesten und besten mit Alice umzugehen und so finden die seit Jahren entzweiten Frauen auf einer neuen Ebene zueinander, während Alice‘ Krankheit unerbittlich voranschreitet…
Rezension:
Nachdem ich jüngst erst Colette von Wash Westmoreland gesichtet habe (den er seinem zwischenzeitlich leider verstorbenen Co-Regisseur Richard Glatzer gewidmet hat), stand nun die Beschäftigung mit dem vier Jahre zuvor und noch unter gemeinsamer Regie entstandenem Still Alice auf dem Programm, der nicht nur ein ungleich größeres Medienecho erzeugt hat, sondern vor allem Hauptdarstellerin Julianne Moore (Freeheld) gleich einen ganzen Batzen an Preisen (natürlich inklusive Oscar) eingebracht hat. Völlig zurecht, wie ich vorausschicken möchte, denn die kognitive Beeinträchtigung der zunehmend an ihren Symptomen leidenden Alice, ihre verzweifelten Ausbrüche, ihre lethargischen Phasen und die stumme Resignation hätte man kaum besser, eindringlicher, berührender spielen können, womit sie den Film auch mühelos im Alleingang trägt und ihren Status als Ausnahmedarstellerin weiter untermauert. Das Vergessen bringt derweil aber natürlich auch eine Form von körperlichem Verfall mit sich, so dass die distinguierte Professorin zu Beginn des Films kaum noch Ähnlichkeit zu der im desolaten Zustand befindlichen Alice aus der zweiten Hälfte aufweist.
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Das gleichsam von Westmoreland und Glatzer verfasste Skript basiert dabei auf dem gleichnamigen Roman der Neurowissenschaftlerin Lisa Genova, welche die Folgen der Alzheimer-Krankheit, ihren Verlauf und den damit einhergehenden Kontrollverlust an ihrer eigenen Großmutter beobachten musste, was sie wohl einerseits dazu inspiriert hat, sich erstmalig als Schriftstellerin zu betätigen und andererseits zu Teilen im Film gespiegelt sein könnte von der Beziehung der erkrankten Alice zu ihrer Tochter Lydia, die mit beeindruckendem Fingerspitzengefühl von Kristen Stewart (Equals) verkörpert wird. Der sagt man ja immer noch gerne nach, überhaupt nicht schauspielern zu können, doch sind es Rollen wie die der einfühlsamen Lydia in Still Alice – Mein Leben ohne Gestern, die einen binnen weniger Minuten vom Gegenteil überzeugen dürften. Nicht minder intensiv ist die Beziehung zwischen Alice und ihrem Mann Tom geraten, der gewohnt souverän von Alec Baldwin (Mission: Impossible) gespielt wird und zusehends an der Situation zu verzweifeln droht. So bemüht er sich zwar auf der einen Seite, Alice größtmögliches Verständnis entgegenzubringen, entfernt sich auf der anderen Seite aber halb unbewusst von seiner Frau, während sie immer seltener lichte Momente hat und nur noch ein Schatten der einst ungemein intelligenten Professorin ist, die Tom einst kennen und lieben gelernt hat.
Dabei gelingt es Still Alice aber vor allem, zu keinem Zeitpunkt zum sentimentalen Rührstück zu verkommen und schildert die dramatische Geschichte erfrischend authentisch und klischeebefreit, so dass selbst ein Vortrag, den Alice im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit vor einer Gruppe Alzheimer-Patienten hält, der nicht von ungefähr an ihre frühere akademische Tätigkeit erinnert, eben nicht dazu verkommt, mit Plattitüden und Durchhalteparolen den Startschuss für eine Art Wunderheilung gibt, sondern lediglich ein letztes, berührendes Aufbäumen der Figur ist, die sich Julianne Moore fernab falscher Eitelkeit und in allen Facetten gänzlich zu eigen macht. Theoretisch könnte ich den Film also, trotz oder gerade aufgrund seines ernsten und berührenden Themas ohne Vorbehalte in den Himmel loben, doch finden sich am Wegesrand leider auch kleinere Auslassungen, die es verhindern, dass dieses Werk noch überzeugender und kohärenter gewirkt hätte.
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Neben Alice‘ Beziehung zu Ehemann Tom und Tochter Lydia, auf denen durchaus das Hauptaugenmerk liegt, wären da nämlich noch ihre anderen zwei Kinder Anna und Tom, ihrerseits verkörpert von Kate Bosworth (Straw Dogs) und Hunter Parrish (Paper Man), die im Kontext der Erzählung doch arg ins Hintertreffen geraten und im Grunde überwiegend bei obligatorischen Familientreffen in Erscheinung treten. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn nicht einer der ersten Aufhänger für das sich entspinnende Drama wäre, dass es sich eben um eine familiär vererbbare Form der Alzheimer-Krankheit handelt, die bei Alice diagnostiziert wird, weshalb sie und Tom ihren Kindern nahelegen, sich ebenfalls testen zu lassen. Ohne groß spoilern zu wollen, kann ich dahingehend zumindest verraten, dass die genetische Anlage tatsächlich bei einem ihrer Kinder festgestellt wird, doch abgesehen von einem kurzen Telefonat (das ebenselbige Information transportiert), wird das Thema quasi nicht mehr aufgegriffen, was in Anbetracht des zunehmend drastischer werdenden Kontroll- und Orientierungsverlusts der Mutter nicht wirklich nachvollziehbar ist. Solche kleinen Auslassungen und Ungereimtheiten führen aber freilich mitnichten dazu, dass Still Alice weniger lohnenswert oder gelungen sein würde, sondern lediglich erläutern, warum dieses Werk nicht in die allerhöchsten Wertungsregionen vorstößt, denn Moores‘ darstellerische Höchstleistung und die schiere emotionale Wucht des Gezeigten bleiben freilich unbenommen.
Still Alice – Mein Leben ohne Gestern
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Schwindende Erinnerungen - 8.5/10
8.5/10
Fazit & Wertung:
Mit Still Alice – Mein Leben ohne Gestern ist Wash Westmoreland und Richard Glatzer ein ungemein berührendes, authentisches und aufrichtiges Drama gelungen, dass sich den Schrecken der Alzheimer-Krankheit widmet und insbesondere Julianne Moore zu darstellerischer Höchstleistung treibt, die bis in die feinste Nuance zu begeistern versteht. Lediglich kleinere dramaturgische Mängel hinsichtlich der Nebenfiguren trüben das Gesamtbild dieses ansonsten wunderbar kitschbefreiten und anrührenden Werks geringfügig, was in Anbetracht der sonst vorherrschenden Intensität und Emotionalität aber durchaus zu verschmerzen ist.
Still Alice – Mein Leben ohne Gestern ist am 31.07.15 auf DVD und Blu-ray bei polyband im Vertrieb von WVG Medien erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!