Heute widme ich mich mal einem vergleichsweise frisch erschienenen Netflix-Film, der ursprünglich für eine Kino-Veröffentlichung vorgesehen war, nun aber stattdessen direkt im Heimkino gelandet ist.
Enola Holmes
Enola Holmes, UK 2020, 123 Min.
© Netflix
Harry Bradbeer
Jack Thorne (Drehbuch)
Nancy Springer (Buch-Vorlage)
Millie Bobby Brown (Enola Holmes)
Henry Cavill (Sherlock Holmes)
Sam Claflin (Mycroft Holmes)
Helena Bonham Carter (Eudoria Holmes)
Louis Partridge (Tewkesbury)
Burn Gorman (Linthorn)
Adeel Akhtar (Lestrade)
Susan Wokoma (Edith)
Abenteuer | Krimi | Drama | Mystery
Trailer:
Inhalt:
© Netflix
Verborgen vor der Öffentlichkeit und von ihren älteren Brüdern Mycroft und Sherlock unbeachtet, wächst Enola Holmes in der Obhut ihrer Mutter Eudoria auf, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Enola auf alle Eventualitäten des Lebens im viktorianischen London vorzubereiten. An Enolas sechzehntem Geburtstag allerdings verschwindet Eudoria spurlos und das ruft letztlich auch Sherlock und Mycroft auf den Plan, die Enola in ein Mädchen-Internat zu stecken gedenken. Enola aber ist nicht bereit, sich in ihr Schicksal zu fügen und tritt stattdessen die Flucht nach vorn an, um Eudoria ausfindig zu machen, die ihr schließlich eine Anzahl vager Hinweise hinterlassen hat, die ganz unzweifelhaft in Richtung London weisen. Der cleveren Elona gelingt es gar, ihre findigen Brüder kurzzeitig von ihrer Fährte abzulenken, doch schon im Zug Richtung Hauptstadt geraten ihre Pläne ins Wanken, als sie dem ebenfalls flüchtigen Lord Viscount Tewksbury begegnet, der von einem wortkargen Angreifer bedroht wird…
Rezension:
Schon lange hatte ich mich auf die vielversprechend klingende Buch-Verfilmung Enola Holmes gefreut und mich entsprechend zeitnah nach Veröffentlichung daran begeben, dem Werk meine Zeit zu schenken. Entgegen meiner Erwartung und Annahme handelt es sich dabei übrigens mitnichten um ein Netflix-Original, die zugegebenermaßen oft und gerne von zweifelhafter Qualität sind, sondern stattdessen um einen ursprünglich von Warner Bros. produzierten Film, der kurz vor Fertigstellung – und im Kontext von COVID-19 – zu Netflix gewandert ist, um nun eben im Heimkino statt auf der großen Leinwand Premiere zu feiern, was derweil auch erklärt, warum der Streifen leider "nur" in HD, nicht aber in 4K/HDR abgerufen werden kann. Dem spaß an der Sache tut dies aber zum Glück keinen Abbruch, denn dieses Abenteuer einer jüngeren Holmes-Schwester bringt gehörig frischen Wind ins Franchise, was neben der gelungenen Aufmachung und Inszenierung vorrangig an der energiegeladenen und spielfreudigen Millie Bobby Brown liegt, die vielen aus der Netflix-Serie Stranger Things ein Begriff sein dürfte. Vorbildlich auch, dass man die 2004 geborene Brown als sechzehnjährige Enola besetzt, anstatt auf eine Mittzwanzigerin zu setzen, was der Natürlichkeit und Authentizität sehr zugute kommt.
© Netflix
Der eigentliche Clou von Enola Holmes ist aber sicherlich, dass hier in steter Regelmäßigkeit die Vierte Wand durchbrochen wird und Enola – die logischerweise auch als Erzählerin fungiert – sich direkt ans Publikum wendet. Was andernorts derweil schnell prätentiös und plakativ wirken könnte, passt hier ungemein gut ins Konzept des Films, zumal Regisseur Harry Bradbeer dank der gefeierten Serie Fleabag einiges an Erfahrung mit dieser inszenatorischen Spielart vorweisen kann. Derweil aus der Buch-Vorlage entlehnt und nicht minder gelungen ist der Umstand, dass Eudoria ein ausgeprägtes Faible für Buchstabenrätsel hat, was des Öfteren gekonnt eingesetzt und bebildert wird. Für Eudoria hat man sich derweil der wunderbaren Helena Bonham Carter (Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln) versichert, die allerdings leider eher ein Nischendasein fristet, denn durch ihr Verschwinden nach wenigen Minuten spielt sie fortan nur in fragmentarischen Rückblenden und Traumsequenzen eine Rolle. Aber gut, der Fokus liegt ohnehin auf Enola, und die macht als "neu entdeckte" Schwester der ungleich bekannteren Holmes-Brüder eine treffliche Figur, zumal sie Sherlock zunehmend erfolgreich nacheifert, was Kombinations- und Auffassungsgabe sowie nicht zuletzt deduktives Denken angeht.
Dank der ungewöhnlichen Art der Inszenierung und der mitreißenden Performance von Millie Bobby Brown wirkt der Film derweil auch ungemein modern und temporeich, ohne darüber sein viktorianisches Setting zu vergessen. Effekte nebst optischer Spielereien und Einschübe tun hierbei ihr Übriges, während der quirligen Enola zwei bewusst distinguierte Holmes-Brüder entgegengesetzt werden, die einerseits – im Fall von Sherlock – von Henry Cavill (The Witcher) sowie Sam Claflin (Ihre beste Stunde) – als Mycroft – verkörpert werden. Beide spielen natürlich eine eher untergeordnete Rolle, überzeugen aber für sich wie auch im Zusammenspiel. Noch irritierender wirkt im Nachgang an den Film die eingereichte Klage des Doyle-Nachlasses gegen Netflix, weil Holmes als gefühlsbetont dargestellt werde, was nicht unter Public Domain falle, denn auch wenn ich weiß, von welcher Szene die Rede gewesen sein muss, ist das doch reichlich dünn zusammenkonstruiert. Von solcherlei Querelen sollte man sich aber ohnehin nicht den Spaß am Film verderben lassen, der ansonsten in bester Manier als wendungs- und abwechslungsreiches Abenteuer inszeniert ist, in dem der eigentliche Meisterdetektiv Sherlock ohnehin nicht die größte Rolle spielt und manchmal – darüber hätte man sich viel eher echauffieren können – gar von seiner kleinen Schwester vorgeführt wird.
© Netflix
Bei all den lobenden Worten will ich aber nicht verhehlen, dass Enola Holmes leider auch mit einigen signifikanten Schwächen aufwartet, deren größte die schiere Länge des Treibens ist, denn über zwei Stunden hätte die doch eher überschaubar gehaltene Story mitnichten gebraucht, um zum Besten gegeben zu werden. Nach einer straff erzählten ersten Hälfte aber beginnt besagte Story einige unnötige Haken zu schlagen und büßt merklich an Verve ein, zumal nicht wirklich erklärt wird, weshalb Enola die Suche nach ihrer Mutter zeitweise ad acta legt, auch wenn dies fadenscheinig versucht wird. Überhaupt erfährt dieser übergeordnete Handlungsbogen schlussendlich nicht die verdiente Aufmerksamkeit und wird wenig befriedigend zu einem (vorläufigen) Abschluss gebracht. Die Frage, ob womöglich weitere Abenteuer mit Enola Holmes folgen werden – schließlich handelt es sich bei der Vorlage von Nancy Springer um eine immerhin sechsteilige Reihe –, bleibt zunächst offen, auch wenn ich es mir wünschen würde. Denn auch wenn die zweite Hälfte nicht ganz mit dem großartigen Auftakt mithalten kann, bewahrt sich diese frische Neuinterpretation doch einen Großteil ihrer Stärken und überzeugt auf weiter Strecke. Dalässt sich dann auch verschmerzen, dass sich die jüngere Schwester nicht ganz sauber in den Kanon und zeitgeschichtliche Ereignisse integrieren lässt, was man billigend in Kauf zu nehmen bereit sein sollte.
Enola Holmes
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Herausforderungen für eine angehende Meisterdetektivin - 7.5/10
7.5/10
Fazit & Wertung:
Das von Netflix eingekaufte Detektiv-Abenteuer Enola Holmes punktet als frische Neuinterpretation und Erweiterung des Franchise und besticht mit einer mitreißend aufspielenden Millie Bobby Brown, derweil inszenatorische Kniffe wie etwa das Durchbrechen der Vierten Wand hier nicht nur als bloßes Gimmick daherkommen, sondern die Geschichte tatsächlich gekonnt unterstützen.
Enola Holmes ist seit dem 23.09.2020 exklusiv bei Netflix verfügbar.