Ja, auch heute ist es mal wieder später geworden. Das macht aber nichts, denn Thema der heutigen Kritik ist auch kein Film, welcher der breiten Masse zusagen wird, insofern passt der Nischenplatz am Abend ganz gut.
Vox Lux
Vox Lux, USA 2018, 114 Min.
© Koch Media
Brady Corbet
Brady Corbet
Mona Fastvold
Stacy Martin (Eleanor)
Jennifer Ehle (Josie the Publicist)
Raffey Cassidy (Young Celeste / Albertine)
Drama | Musik
Trailer:
Inhalt:
© Bold Films
Bei einem Schulamoklauf im Jahr 1999 stellt sich die junge Celeste mutig dem Täter entgegen und wird angeschossen. Bei der sich anschließenden Trauer- und Gedenkfeier zu Ehren ihrer verstorbenen Mitschüler gibt Celeste einen eigens komponierten Song zum Besten, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Vor dem Hintergrund der tragischen Entstehung avanciert das Lied zum Hit und plötzlich findet sich die Jugendliche inmitten des Molochs wieder, der als Musik-Business bekannt ist. Doch Celeste weiß sich zu behaupten und auch ihre weiteren Werke werden euphorisch aufgenommen. Die Jahre vergehen und Celeste hatte zahlreiche Skandale und Rückschläge zu verbuchen. Just als sie – wir schreiben nunmehr das Jahr 2017 – eine große Comeback-Tour anstrebt, wird ihre Musik ein weiteres Mal mit einer schockierenden Tat, diesmal einem terroristischen Anschlag an einem Badestrand, in Verbindung gebracht…
Rezension:
Heute soll es wieder einmal um ein – meinem persönlichen Empfinden nach – von den meisten unbeachtetes Werk gehen, dass zugegebenermaßen aber auch trotz seines Themas – Musikindustrie und Popkultur – mitnichten geeignet ist, den Mainstream in Verzückung zu bringen. Dafür ist der Film von Regisseur Brady Corbet deutlich zu sperrig und eigenwillig geraten. Das beginnt schon damit, dass zu Beginn des Films der Abspann in umgekehrter Richtung über die Leinwand flimmert, obwohl man den nun doch eher am Ende vermuten würde und geht weiter mit der Kapitelstruktur des Gezeigten, wobei sich ein Großteil des Films auf Genesis und Regenesis beschränkt, die einerseits die junge Celeste zur Jahrtausendwende und andererseits die ältere Celeste im Jahr 2017 in Erscheinung treten lassen. Die vermeintliche Hauptdarstellerin Portman bekommt man dadurch im Übrigen erst nach rund der Hälfte des Films überhaupt zu Gesicht, denn den Part der jüngeren Celeste übernimmt die – ungemein begabte –Raffey Cassidy. Allein durch die Aufteilung des Gezeigten verweigert sich Vox Lux schon ein Stück weit einer klassischen Dramaturgie und unterstreicht den Eindruck von Distanz noch durch den auktorialen Erzähler – im Original von Willem Dafoe gesprochen –, der durch die fiktive Biografie von Celeste leitet und selbst dafür zuständig ist, deren Gedanken und Gefühle zu kommunizieren, so dass der Film zuweilen schon beinahe wie ein Dokumentarfilm wirkt.
© Bold Films
Botschaft und Inspiration sind dabei mehr als offensichtlich und wie schon so oft versteht sich nun eben auch dieses Werk als Anklage an die Pop-Industrie, die hier einer Religion gleichkommt und ihre Anhänger*innen in ekstatische Begeisterung versetzt, gleichwohl es hinter den Kulissen weitaus betrüblicher und fatalistischer ausschaut. So erklärt Portman im Interview, dass sie sich bewusst nicht mit Cassidy kurzgeschlossen hätte, was die Interpretation von Celeste und ihr Wesen betrifft, denn wenn der siebzehn Jahre umfassende Zeitsprung einen Sinn hat, dann den, zu zeigen, dass aus Celeste ein gänzlich anderer Mensch geworden ist. Doch Corbet bedient sich auch hier eines simplen, vielleicht zunächst verwirrenden, aber absolut gelungenen Kniffs und lässt in der zweiten Filmhälfte Cassidy nunmehr als Celestes Tochter Albertine in Erscheinung treten. Das lässt sich vielschichtig deuten, sagt aber schon einmal ganz plakativ aus, dass Celeste in ihrer Tochter ihr jüngeres Ich erkennt und sie davor bewahren will, dieselben Fehler zu machen wie sie. Dabei wird bewusst offengehalten, inwieweit Celeste denn wirklich vom Einfluss des Business in Richtung Abgrund gestoßen worden ist, oder ob sie nicht einiges in ihrem Leben auch selbst forciert hat.
Dementsprechend ist Vox Lux auch als Coming-of-Age-Geschichte mit fatalistischem Anstrich zu verstehen, denn während man zunächst noch beobachten kann, wie Celeste ob des Ruhmes und der Aufmerksamkeit aufzublühen beginnt, verdeutlicht das zweite große Kapitel dann, wohin diese Straße sie letztlich geführt hat. Dabei ist es bezeichnend, dass die Comeback-Tour wieder im Schatten eines diesmal terroristisch motivierten Attentats steht, wohingegen man im ersten Kapitel gelernt hat, wie ansprechend konsumierbar Schmerz und Angst werden, wenn man sie nur richtig – und mit dem passenden Song – vermarktet. 2017 sieht das Ganze gleichwohl anders aus und man könnte zuweilen das Gefühl bekommen, man würde indirekt Celeste die Schuld an den Anschlägen geben, obwohl nur eine fadenscheinige Verbindung zu einem ihrer Musikvideos besteht. Die auf sie einstürmenden Reporter und Rufe machen aber auch deutlich, dass Celeste längst die Empathie abhandengekommen ist und sie nur noch reinem Kalkül folgend zu den Umständen Stellung bezieht. Das mag kaltherzig wirken, ist aber ihrem bisherigen Leben geschuldet, dessen Auswirkungen Natalie Portman (Jackie) mit beeindruckender Intensität auf die Leinwand und Bühne zu bringen weiß. Ihre Co-Stars Jude Law (Genius) als Manager sowie Stacy Martin (The Lady in the Car with Glasses and a Gun) als Celestes ältere Schwester Eleanor halten sich derweil merklich zurück, wobei im Fall von Law der Rollenname "The Manager" schon viel darüber aussagt, wie eindimensional die Figur schon aus Sicht des Skripts angelegt worden ist. Aber konsequent, denn schließlich bewegt sich Celeste in einer gänzlich um sie selbst kreisenden Welt, deren unumstößlicher Mittelpunkt sie ist, wie auch manche aus dem Off ergänzte Anekdote aus ihrem Leben unterstreicht.
© Bold Films
Dafür aber fungieren sowohl der Manager als auch Eleanor zudem als weiteres Bindeglied zwischen den Kapiteln, denn anders als Celeste, die ein buchstäblich anderer Mensch geworden ist, übernehmen sie ihre Rollen in beiden Zeitabschnitten. Ansonsten überdauern natürlich die Pop-Songs von Celeste die Zeit, die ihrerseits von der Singer/Songwriterin Sia beigesteuert worden sind und Vox Lux aufs Trefflichste veredeln, auch wenn sie mitnichten eine so präsente Rolle spielen, wie ich das im Vorfeld erwartet hätte. Viel Lob von meiner Seite also für einen mehr als eigensinnigen und oft sperrigen Film, wobei ich nicht verhehlen möchte, dass vielen das spezifische Storytelling nicht gefallen wird, denn während sich die erste Hälfte über mehrere Jahre erstreckt und dementsprechend vieles im eildurchlauf abhandelt, konzentriert sich die zweite Hälfte auf gerade mal wenige Stunden, bietet vor allem aber nicht unbedingt die klassische und befriedigende Auflösung, die sich viele erhoffen würden. Trotz mancher Schwäche aber lohnt sich dieser künstlerisch ambitionierte Film, auch wenn manches von dem, was sich Corbet von anderen Regisseuren abgeschaut haben mag, zuweilen prätentiös zu wirken droht.
Vox Lux
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Frenetisch gefeierte Pop-Songs - 7/10
7/10
Fazit & Wertung:
Brady Corbet inszeniert mit Vox Lux eine ambitioniert-sperrige, fiktive Biografie, die sich der unverhofft erfolgreichen Sängerin Celeste widmet, deren Jugend-Traumata sie zwar breit vermarktbar, über die Jahre aber auch extrem labil machen. Grundsätzlich sehenswert, auch wenn die oft eigenwillige Erzählstruktur eine Distanz schafft, die nicht zuträglich ist, sich den Kernthemen des Gezeigten zu nähern.
Vox Lux ist am 20.05.2020 auf DVD und Blu-ray bei Koch Media erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!
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