Es muss ja nicht immer brandaktuell sein und so widme ich mich heute mal einem von mir sehr geschätzten Film, der es, obwohl ich ihn seit seinem Erscheinen vor rund zehn Jahren schon mehrfach gesehen habe, bislang nicht hier auf die Seite geschafft hat.
Alles, was wir geben mussten
Never Let Me Go, UK 2010, 103 Min.
© Twentieth Century Fox
Mark Romanek
Alex Garland (Drehbuch)
Kazuo Ishiguro (Buch-Vorlage)
Izzy Meikle-Small (Young Kathy)
Ella Purnell (Young Ruth)
Charlie Rowe (Young Tommy)
Charlotte Rampling (Miss Emily)
Sally Hawkins (Miss Lucy)
Nathalie Richard (Madame)
Andrea Riseborough (Chrissie)
Domhnall Gleeson (Rodney)
Drama | Romantik | Science-Fiction
Trailer:
Inhalt:
© Twentieth Century Fox
Von außen betrachtet ist Hailsham ein gewöhnliches Internat, doch abgeschottet von der Außenwelt und wohlbehütet wachsen hier ganz besondere Kinder auf, die einerseits dazu ermutigt werden, sich künstlerisch wie sportlich zu betätigen, andererseits und vor allem anderen aber dazu angehalten werden, auf ihre eigene Gesundheit zu achten. Die Oberaufsicht obliegt hierbei der Direktorin Miss Emily, die ihre Schützlinge nach Kräften – aber auch mit harter Hand – zu behüten versucht. Was für die Kinder aber ganz normal ist, erschreckt die neue Lehrerin Miss Lucy in besonderem Maße, weiß sie schließlich, was es mit den Hailsham-Kindern auf sich hat und wofür sie bestimmt sind. Und obwohl daraus kaum ein Geheimnis gemacht wird, brauchen auch die drei Freunde Kathy, Ruth und Tommy eine ganze Weile, die Tragweite dessen zu erfassen, was sie im Leben erwarten wird. Mit gerade einmal sechzehn Jahren werden sie von Hailsham aus in die nicht minder abgeschiedenen Cottages geschickt und kommen erstmals in Kontakt mit Kindern von anderen Internaten. Die Kluft zwischen Ruth und Kathy allerdings wird zunehmend größer und sie alle stehen ohnehin kurz vor ihrer wahren Bestimmung im Leben und die Unbeschwertheit der Jugend neigt sich bereits dem Ende…
Rezension:
Schon den gleichnamigen Roman von Kazuo Ishiguro habe ich mit Genuss gelesen und dieselbe Faszination übt dankenswerterweise auch dessen Verfilmung aus, auch wenn die zugegebenermaßen beinahe lethargische, ungemein unaufgeregte und melancholisch geprägte Erzählweise sicher nicht jedermanns Sache sein dürfte, denn so einzigartig das Werk schon inhaltlich geraten ist, verweigert es sich auch in vielerlei Hinsicht auch einer handelsüblichen Dramaturgie. Der Film selbst gliedert sich derweil in drei große Kapitel, die sich einerseits Hailsham, andererseits den Cottages und zuletzt der "Vollendung" widmen, wie die Erfüllung der Bestimmung der Internatskinder so treffend und poetisch umschrieben wird. Der erste Teil im Internat dient dabei mitnichten nur der Exposition der Figuren und des Settings, nein, er etabliert auch eine vergleichsweise unbeschwerte Kindheit, die später als Anker- und Fixpunkt dienen wird, wenn die Hailsham-Kinder über die Cottages und weiter in die eigentliche Welt geführt werden, wo sie zwar ihre Bestimmung, aber mitnichten ein im klassischen Sinne erfüllendes Leben erwarten wird.
© Twentieth Century Fox
Die Besetzung der (noch) kindlichen Ausgaben von Kathy, Ruth und Tommy ist dabei ein wahrer Glücksgriff und passt perfekt zu deren späteren Verkörperungen, so dass man trotz Schauspielerwechsel nach rund einem Drittel des Films von Beginn an eine Beziehung mit den dreien aufzubauen imstande ist, was dahingehend auch für Alles, was wir geben mussten von außerordentlicher Bedeutung ist, dass es zwar grundsätzlich um eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung der von Ishiguro ersonnenen Parallelwelt der 1970er, später 1990er geht, das Ausmaß der fiktiven wissenschaftlich-medizinischen Errungenschaften aber allein am Einzelschicksal der drei Protagonisten verdeutlicht wird, was einen merklich emotionaleren Zugang zu dem Thema eröffnet und ermöglicht. Und natürlich musste hier von Drehbuchautor Alex Garland (Auslöschung) einiges gekürzt und gestrafft werden, um quasi einen ganze Lebensgeschichte in unter zwei Stunden erzählen zu können, doch das Wesen, die Botschaft, der Kern der Buchvorlage von Ishiguro bleibt meines Erachtens gänzlich erhalten, zumal der in Großbritannien realisierte Film nicht in die Falle tappt, einige der Entwicklungen in bester Hollywood-Manier zu schönen und glätten, so dass der vorherrschende Fatalismus bis zuletzt erhalten und stets omnipräsent bleibt. Die daraus resultierende Ohnmacht gegenüber dem System, der mangelnde Wille, sich lautstark oder körperlich zur Wehr zu setzen, mag dabei manchen Zuschauer enttäuschen oder schlicht unverständlich scheinen, doch passt es eben exakt zur Indoktrination, zur Erziehung und Vorbereitung der Hailsham-Kinder, die nur zu einem einzigen Zweck existieren.
Und ebenso wie die Kinder-Darsteller ein Volltreffer sind, sind es freilich auch deren erwachsene Pendants, die Alles, was wir geben mussten auf einer persönlichen und emotionalen Ebene zu einem solchen Erlebnis machen. Angefangen mit einer stets ungemein fragil aber auch stark wirkenden Carey Mulligan (Am grünen Rand der Welt) in der Rolle der Kathy, weiter mit einem sensibel und schüchtern aufspielenden Andrew Garfield (Under the Silver Lake) als Tommy bis hin zu Keira Knightley (Colette) als Ruth, die vielleicht noch am ehesten dem Archetyp der missgünstigen und leicht hochnäsigen besten Freundin entspricht, entspinnt sich hier ein Dreieck aus Zuneigung und Liebe, Missgunst und Unverständnis, Sehnsucht und Hingabe, das seinesgleichen sucht und vor allem noch durch die ungewöhnlichen Begleitumstände gewinnt. Konkret benennen werde ich diese Umstände, ebenso wie die Bestimmung von Kathy, Ruth, Tommy und den anderen nicht, auch wenn es ein offenes Geheimnis sein mag, denn es mag ja eventuell doch noch Leute geben, de den Film nicht kennen und bestmöglich unbedarft entdecken möchten. Da ist es dann auch unerheblich, dass das "Geheimnis" auch im Film recht früh und vor allem angenehm unspektakulär gelüftet wird, doch dessen Tragweite und Bedeutung erschließt sich – ähnlich wie es den Hailsham-Kindern ergeht – tatsächlich erst im weiteren Verlauf.
© Twentieth Century Fox
Fernab der hervorragenden DarstellerInnen, zu denen unter anderem auch Charlotte Rampling (Euphoria) als Miss Emily, Sally Hawkins (Shape of Water) als Miss Lucy oder auch Andrea Riseborough (Mandy) und Domhnall Gleeson (Goodbye Christopher Robin) in kleinen, aber prägnanten Rollen zählen, überzeugt der von Mark Romanek inszenierte Film aber mit vor allem mit seiner feinfühligen, melancholischen und unaufdringlichen Art, findet anrührende Szenen und gelungene Bildkompositionen, ohne je die Grenze zur Behäbigkeit zu überschreiten, so ruhig seine Erzählung die meiste Zeit auch sein mag, während er auf unnötige Effekthascherei und dramaturgische Spitzen weitestgehend verzichtet, was dem intimen und ernsten Thema mehr als angemessen ist. Denn auch wenn Freundschaft und Liebe, Bestimmung und Sehnsucht hier im Vordergrund stehen, ist es doch auch eine erschreckende, zum Nachdenken anregende Dystopie, deren Grausamkeit und Schrecken sich erst im Detail und ohne große Worte entfaltet. Natürlich mag Alles, was wir geben mussten zuweilen daran kranken, für die Filmfassung inhaltlich ein wenig zusammengestaucht worden zu sein, doch wo es drauf ankommt, trifft die Interpretation von Garland und Romanek auf den Punkt.
Alles, was wir geben mussten
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Gerüchte rund um Hailsham - 8/10
8/10
Fazit & Wertung:
Mark Romanek offeriert mit Alles, was wir geben mussten eine kongeniale Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Kazuo Ishiguro. Ungeachtet dessen, dass die Geschichte gestrafft und gekürzt werden musste, um dem Format zu entsprechen, ist diese Interpretation nicht nur inszenatorisch außerordentlich gelungen, sondern punktet auch mit ihrem ungemein fähigen und charismatischen Darsteller-Ensemble.
Alles, was wir geben mussten ist am 12.08.11 auf DVD und Blu-ray bei Twentieth Century Fox erschienen und wurde am 03.05.13 neu aufgelegt. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!