Review: Die Störung | Brandon Q. Morris (Buch)

Nachdem es letzte Woche nicht so recht gepasst hat mit der wöchentlichen Buch-Rezension, die ich ja ohnehin jetzt schon des Öfteren habe schleifen lassen, versuche ich heute ein weiteres Mal, wieder in den Trott zu kommen und spreche über einen noch immer vergleichsweise frisch veröffentlichten Sci-Fi-Band aus dem Hause Tor.

Die Störung

Die Störung, DE 2021, 384 Seiten

Die Störung von Brandon Q. Morris | © FISCHER Tor
© FISCHER Tor

Autor:
Brandon Q. Morris
Übersetzer:
Originalausgabe; entfällt

Verlag (D):
FISCHER Tor
ISBN:
978-3-596-70047-9

Genre:
Science-Fiction | Mystery | Thriller

Trailer:

 

Inhalt:

Nasse Wolken hängen über dem Ende des Universums. Christine wischt mit den Fingern über den Bildschirm. In dem kleinen Labor, das in der Nacht nicht geheizt wird, ist es zu Beginn ihrer Schicht so kalt, dass sich an Glasflächen Feuchtigkeit absetzt. Aber die kurz aufflammende Hoffnung trügt. Die Schlieren auf dem Display bestehen nicht aus Kondenswasser, sie stecken in den Daten selbst.

Bereits seit zwanzig Jahren befindet sich die Shepherd-1 auf einer beispiellosen Mission in Richtung Sonne, um einen Blick zurück auf die Entstehung des Kosmos zu werfen. Mithilfe der Solaren Gravitationslinse und unter Zuhilfenahme eines Schwarms aus Sonden soll es ihnen ermöglicht werden, den Moment des Urknalls sichtbar zu machen und damit eines der letzten großen Geheimnisse zu lüften. An Bord befindet sich lediglich eine vierköpfige Crew aus Experten, wobei speziell für die durchzuführenden Messungen und Aufnahmen Astronomin Christine federführend sein wird. Die ist auch entsprechend enttäuscht, als ein erster Versuch nur Schleier und Nebel produziert, wo sich ihr eigentlich der Ursprung allen Seins präsentieren sollte. Während die restlichen Crew-Mitglieder sich an die Neuausrichtung der Sonden begeben und zwischenzeitlich die Frage im Raum steht, ob womöglich ein bislang unentdecktes Schwarzes Loch die ordnungsgemäße Durchführung stört, forscht Christine auf eigene Faust nach einer Lösung, doch was sie entdeckt, hätte besser nie erblickt werden sollen…

Rezension:

Ohne bislang etwas von dem Autoren Brandon Q. Morris gelesen zu haben, der ja wohl durchaus bereits eine treue Fangemeinde und einiges an Romanen vorweisen kann, habe ich mich dennoch voller Vorfreude und Neugierde an Die Störung begeben, derweil ich zugeben muss, dass mich insbesondere interessiert hat, dass Morris vom Fach ist und eben das "Science" in Science-Fiction deutlich ernster nehmen dürfte als so manch anderer Autor, so sehr ich auch klassische Space Operas liebe. Hier nun ist allein die Prämisse schon spannend und einzigartig, denn mithilfe der Solaren Gravitationslinse soll ein Blick in die Vergangenheit des Universums ermöglicht werden, genauer ein Blick auf dessen Ursprung, weshalb zu diesem Zweck die vierköpfige Crew der Spepherd-1 eine zwanzigjährige Reise durchs All angetreten ist, um eben diesen beispiellos bleibenden Blick zu werfen, der das Verständnis des Daseins, der Menschheit, des Seins für immer verändern könnte. Da wir uns aber im Bereich – zumindest theoretischer – physikalischer Machbarkeit bewegen wollen, kommt es selbstredend nicht zu diesem Ausblick, hingegen dank quantenphysikalischer Gesetzmäßigkeiten zu einer ganz anderen Art Zwischenfall, den ich allerdings selbstredend nicht vorwegnehmen möchte.

Der Techniker entfernt sich. Devendra, der Flight Manager, winkt ihn zu sich. Rachel zieht die Tastatur heran und gibt ihre Logindaten ein. Auf dem Bildschirm öffnen sich gleich mehrere Statusanzeigen der Shepherd-1 und der vierköpfigen Crew. Sie betrachtet die Vitaldaten der Astronauten. Alle vier schlafen noch. Ihre Körpertemperatur ist etwas niedrig, aber im Rahmen des Erwartbaren.

Faszinierend ist dieser Ausflug in die Zukunft – Die Störung spielt im Jahre 2094, respektive 2079 – dabei allemal, hingegen der Schreibstil von Morris durchaus gewöhnungsbedürftig. So sieht man sich hier mit einer Erzählung im Präsens konfrontiert, wo ich mich zugegebenermaßen oft sehr schwertue, auch wenn es eine gewisse Unmittelbarkeit in den Schilderungen garantiert. Hat man sich da erst einmal hineingefunden, fällt es kaum noch störend ins Gewicht, doch auch ansonsten ist der Stil des Autors von einer gewissen Nüchternheit und Distanz geprägt, so dass ich kaum eine echte Verbindung zu den vier Crew-Mitgliedern aufbauen konnte, was schon ärgerlich ist, denn so sehr die wissenschaftliche und dramaturgische Seite fasziniert, braucht es eben auch eine emotionale Immersion – wie ich finde – um richtig mitfiebern zu können. Hier hapert es an der einen oder anderen Stelle, doch machen das immerhin viele inszenatorische Einfälle und Schilderungen zu Teilen wett, denn manches Mal hat mich der Roman richtig überrascht mit dem, was sich da an Bord der Shepherd-1 offenbart. Nun bin ich auch kein ausgewiesener Wissenschaftler und muss dem Geschilderten im Grunde Glauben schenken ob seiner theoretischen Machbarkeit, doch gelingt es Morris auf alle Fälle, es so zu vermitteln, dass man nicht von Kauderwelsch erschlagen wird und den Ausführungen eben selbst als absoluter Laie folgen kann.

Leider muss ich aber auch sagen, dass der gerade mal rund 350 Seiten starke Roman in der zweiten Hälfte so manche Wendung nimmt, die dann wieder weit vorhersehbarer ist und leider auch mit wenig Not und Mühe aus der Grabbelkiste der Science-Fiction-Stereotypen gezogen worden ist. Hier gräbt sich Morris in meinen Augen beinahe selbst das Wasser ab, was die Faszination und Cleverness seines Roman gewordenen Gedankenkonstrukts angeht. Denn nicht nur bewegen wir uns alsbald auf ausgetretenen und hinlänglich bekannten Pfaden, nein, die Geschichte erfährt auch einiges an zusätzlichem Ballast in Form von Nebenschauplätzen, die es so gar nicht gebraucht hätte, wenn man sich stattdessen voll und ganz dem Kern des Ganzen verschrieben hätte. Das mag wie so oft natürlich auch Geschmackssache sein, doch hat es meiner persönlichen Begeisterung im letzten drittel einen spürbaren Dämpfer verpasst. Das heißt keineswegs, dass Die Störung nicht gut und auch lesenswert wäre, aber das Buch bringt eben so einige Eigenheiten mit sich, derer man sich bestmöglich im Vorfeld bewusst sein sollte.

Gäbe es im Sonnensystem ein Schwarzes Loch von Jupiter-Masse, würde es, das beweist die Simulation, den Fokusbereich verschieben – und die Bilder der Solar Gravity Lens wären unscharf. Das ist klar. Aber gibt es denn ein Schwarzes Loch? Wenn es noch niemand gefunden hat, weil es die Bewegung der anderen Planeten nur unmerklich beeinflusst, wie sollen sie dann seine Existenz beweisen?

Dazu zählt auch, dass die Erzählung recht unvermittelt endet, denn bei einem Umfang von rund 380 Seiten sind – wie ich auch erst im Moment der Beendigung der Lektüre lernen durfte – die letzten 30 Seiten für einen Essay reserviert, der sich den Hintergründen und Gesetzmäßigkeiten der Quantentheorie widmet. Dieser Essay ist ohne Frage absolut lesenswert und bringt mit einfachsten Beispielen und Erläuterungen schwierigste Sachverhalte nahe, ist wohl mit einer der gelungensten Bonusteile, der mir je in einem Buch begegnet ist, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass ich quasi den Schluss des Buches nicht erkannt habe, bis ich mich nach dem Umblättern unvermittelt beim Nachwort wiederfand, das seinerseits die Einleitung für den Essay bildet. So hat mich Brandon Q. Morris hier gleichsam mit einer genialen und absolut faszinierenden Prämisse sowie seinem fundierten Wissen überzeugt, leider aber nicht hundertprozentig mit seinem Schreibstil und der Dramaturgie, denn da werden doch einige bekannte Allgemeinplätze aufgegriffen und verarbeitet, während ich insbesondere den Protagonisten gerne noch näher gekommen wäre während ihrer Odyssee durchs All.

Fazit & Wertung:

Brandon Q. Morris gelingt mit Die Störung ein unbestritten faszinierender Roman um den Versuch, einen Blick auf den Urknall selbst zu werfen, der allerdings – unter Berücksichtigung der Unwägbarkeiten der Quantentheorie – etwas gänzlich anderes, weitaus Bedrohlicheres zutage fördert. Thematisch spannend und lohnend, kommen die Schilderungen dramaturgisch dem nicht ganz nach und insbesondere in der zweiten Hälfte beginnen sich dann leider altbekannte Science-Fiction-Versatzstücke zu häufen, die der Roman mitnichten gebraucht hätte, um für sich einzunehmen. Entsprechend zweischneidig gerät leider der Gesamteindruck, wobei die Anziehungskraft des Themas gegenüber den mancherorts holprigen Schilderungen überwiegt.

7,5 von 10 Geheimnissen des Universums

Die Störung

  • Geheimnisse des Universums - 7.5/10
    7.5/10

Fazit & Wertung:

Brandon Q. Morris gelingt mit Die Störung ein unbestritten faszinierender Roman um den Versuch, einen Blick auf den Urknall selbst zu werfen, der allerdings – unter Berücksichtigung der Unwägbarkeiten der Quantentheorie – etwas gänzlich anderes, weitaus Bedrohlicheres zutage fördert. Thematisch spannend und lohnend, kommen die Schilderungen dramaturgisch dem nicht ganz nach und insbesondere in der zweiten Hälfte beginnen sich dann leider altbekannte Science-Fiction-Versatzstücke zu häufen, die der Roman mitnichten gebraucht hätte, um für sich einzunehmen. Entsprechend zweischneidig gerät leider der Gesamteindruck, wobei die Anziehungskraft des Themas gegenüber den mancherorts holprigen Schilderungen überwiegt.

7.5/10
Leser-Wertung 10/10 (1 Stimmen)
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von FISCHER Tor.

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Die Störung ist am 27.01.21 bei FISCHER Tor erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den folgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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