So, nach zweitägiger Mini-Oster-Auszeit melde ich mich heute zu vorgerückter Stunde mit einem – in meinen Augen – echten Fantasy-Highlight zurück, das die dreibändige Reihe um die Schwarzschwingen, genauer deren Hauptmann Ryhalt Galharrow zu einem fulminanten, begeisternden Abschluss bringt.
Der Sturz des Raben
Schwarzschwinge (3)
Crowfall (Raven’s Mark 3), UK 2019, 544 Seiten
© Blanvalet
Ed McDonald
Ruggero Leò
Blanvalet
978-3-734-16148-3
Fantasy | Action | Abenteuer
Inhalt:
Sechs Jahre. Ich hatte fast sechs verdammte Jahre hier draußen verbracht, allein, abgesehen von den Geistern. Es war die Sache wert, redete ich mir ein. Wenn alles gesagt und getan wäre, wenn sich die Sache zuspitzte und ich über unseren Betrug hinwegsähe, wenn jeder tot wäre, der tot sein musste, dann würde die ganze Mühe Früchte tragen. Das musste ich mir einreden.
Sechs Jahre sind vergangen, seit Ryhalt Galharrow, Hauptmann der Schwarzschwingen, der Welt der Menschen weitestgehend den Rücken gekehrt hat und ins Elend gezogen ist. Zwischenzeitlich wurde die Welt durch das als "Fall der Krähen" bekannte Ereignis ein weiteres Mal verhärmt und verzehrt, nachdem dereinst das Herz der Leere entfesselt wurde, das Elend überhaupt erst erschaffen und Städte wie beispielsweise Androgorsk von der Landkarte getilgt hat. Bei beiden Ereignissen federführend waren die gottgleichen Wesen, die nur als die Namenlosen bekannt sind und noch immer einen erbitterten Kampf gegen die Könige aus der Tiefe führen. In seinem Exil bekommt nun Ryhalt – ansonsten einzig begleitet und verfolgt von den Geistern seiner Vergangenheit – unerwartet Besuch und erfährt, dass sich ein König aus der Tiefe zum Imperator aufgeschwungen und sich mit dem sagenumwobenen Schläfer zusammengetan hat, was die Namenlosen in eine noch denkbar ungünstigere Lage bringt. Womöglich wird es Zeit, zurückzukehren und alte Bekannte zu besuchen, auch wenn die Zeit im Elend den Hauptmann nachhaltig verändert hat. Nicht von ungefähr, denn im Verborgenen folgt Ryhalt gemeinsam mit Dantry einem waghalsigen wie mutigen Plan, in dem es natürlich auch um ihre geliebte Ezabeth Tanza geht, deren Opfer sie mit dem Licht hat eins werden lassen…
Rezension:
Ich bin ja erst vergleichsweise spät auf die Schwarzschwingen-Trilogie von Ed McDonald aufmerksam geworden, was aber auch den nicht zu unterschätzenden Vorteil hatte, dass ich die ersten beiden Bände Im Zeichen des Raben und Der Schrei des Raben quasi in Windeseile – und hintereinander weg – verschlingen konnte, derweil es nun zu darben und zu warten galt, denn seit meiner Lektüre mussten tatsächlich rund neun Monate ins Land ziehen (mittlerweile sind es zehn), bevor mit Der Sturz des Raben nun endlich auch der Abschlussband der Trilogie in meinen Händen lag. Und um das gleich einmal vorweg zu nehmen, war es eine bittersüße Lektüre, denn mit jeder verstreichenden Seite kam ich unweigerlich dem Ende näher, habe mittlerweile aber solch einen Narren an der Reihe, der Welt, den Figuren gefressen, dass ich schwer hoffe, dass McDonald beizeiten noch etwas nachfolgen lässt, denn eine Hintertür für etwaige Fortsetzungen bleibt durchaus geöffnet, wenn auch gegebenenfalls mit neuer Figurenriege oder geänderten Schwerpunkten. Dabei merkt man auch diesem Band unmittelbar an, dass er sich wohl am ehesten dem gern als Dark- oder auch Grimdark-Fantasy bezeichneten Subgenre zuordnen lässt, denn knuffige Elfen, griesgrämige Zwerge oder tapfere Helden sucht man freilich auch dieses Mal in dieser Welt vergeblich, die ganz unter dem Einfluss des ewig schwelenden Krieges zwischen Namenlosen und Königen aus der Tiefe steht, was ihr ein paar nie verheilende Wunden zugefügt hat, deren größte sicherlich das Elend darstellt, dem der Autor sich auch hier wieder mit Hingabe und einem faszinierenden Schreibstil widmet.
Ich trug die madenartigen Geschöpfe zum Steten Haus, setzte mich auf die Veranda und machte mich ans Werk. Nenn sah schweigend zu, wie ich die Wesen häutete und ausnahm, und verschwand schließlich ganz, als ich Platz nahm und sie verzehrte.
Es ist einiges passiert seit dem letzten Band, der ohnehin schon mit dem einen oder anderen überraschenden Twist geendet hat, doch anstatt direkt an die dortigen Ereignisse anzuschließen, sind mittlerweile sechs Jahre vergangen. Während dieser Zeit hat sich Protagonist und Ich-Erzähler Ryhalt Galharrow kaum – und immer seltener – aus dem Elend hinausbewegt und ist zu einem regelrechten Einsiedler geworden, der zunehmend Schwierigkeiten damit hat, Realität und Kopfgeburten voneinander zu trennen, so dass ihm auch die längst verstorbene Nenn als Geist Gesellschaft leistet, während er in seinem persönlichen Refugium, dem Steten Haus – einem der seltenen, nicht zu erklärenden Fixpunkte innerhalb des Elends, das ansonsten einem steten Wandel unterworfen ist – sein Dasein fristet. Und obwohl Ryhalt einiges zu berichten weiß von dem, was sich seither in der Welt getan hat, braucht es seine Zeit, bis man sich in das – noch fatalistischer gewordene – Setting zurückfindet, derweil McDonald als Autor das Konzept des unzuverlässigen Erzählers mit Ryhalt auf eine neue Stufe zu heben vermag, denn der wurde dergestalt vom Elend vereinnahmt, verändert, durchdrungen, dass man manches Mal daran zweifeln mag, wie viel vom einstigen Hauptmann der Schwarzschwingen noch in ihm steckt, ganz zu schweigen von der Identität, die er vor Jahren aufgab, um sich in den Dienst des Namenlosen Krähfuß zu stellen.
McDonald vermag es einmal mehr, plastische und faszinierende Schilderungen zu einem spektakulären und ganz und gar andersartig wirkenden Ganzen zu verquicken, das durchaus auch mit einigen neuen Kontrahenten und Zweckbündnissen dienen kann, sich ansonsten aber auf das mittlerweile breitgefächerte Figurenkonsortium verlässt, das spürbar an vorherigen Ereignissen wahlweise gewachsen oder auch zerbrochen ist. Die tiefe Tragik der Hauptfigur bleibt ihr dabei mitnichten allein vorbehalten, denn auch wenn Ryhalt das Wichtigste im Leben verloren und so manch großes Opfer gebracht hat, gilt das in selbem Maße auch für viele seiner einstigen Weggefährten und Verbündeten, derweil ich mir im Vorfeld nicht hätte vorstellen können, dass die Welt in Der Sturz des Raben noch trost- und hoffnungsloser werden könnte, als ohnehin schon. Mag man anfänglich noch meinen, der Kniff, einen neuen König aus der Tiefe aus dem Hut zu zaubern, der einmal mehr die Welt der Menschen und damit die Landstriche jenseits des Elends bedroht, wäre billig und einfallslos, darf man sich schnell eines Besseren belehren lassen, zumal die Machtverhältnisse sich mittlerweile spürbar zu Ungunsten der Namenlosen verschoben haben.
Es hatte begonnen wie jeder andere Tag auch, und dann – Wahnsinn. Einen Tag und eine Nacht lang ergab nichts Sinn. Die Farben flackerten und vermischten sich. Kaltes Wasser verdampfte, heißes gefror zu Eis. Vögel fielen vom Himmel, Bäume erblühten schlagartig und verdorrten dann zu toten Gerippen. Es gab keinen Grund für all das. Die Effekte waren inkonsistent, änderten sich, während man ein Bein vor das andere setzte. Die Untergangspropheten, die schon lange das Ende der Welt predigten, hatten sich für einen irren, verhängnisvollen Tag daran erfreut, recht behalten zu haben. Doch schon am nächsten Tag waren sie wieder enttäuscht gewesen.
Es sind die schiere, grimmige Wortgewalt, die tiefe Tragik und das ungemein Fatalistische, die mich auch hier wieder in Staunen und Begeisterung versetzt haben, während Ed McDonald es tatsächlich vermag, die vielen losen Handlungsfäden zusammenzuführen und dabei noch wie nebenbei Fragen zu beantworten, die teils seit dem ersten Band der Reihe offen sind. Und dennoch wirkt die Trilogie wie aus einem Guss, nichts wird nach Deus-Ex-Machina-Manier aus dem Hut gezaubert, sondern ist von langer Hand in die Handlung gewoben und nichts weiter als eine konsequente Fortsetzung dessen, was Ryhalt Galharrow bislang erleben und erdulden musste. So hält insbesondere das letzte Drittel noch so einiges an Überraschungen und Twists bereit, während man zwischenzeitlich gar vergisst, dass McDonald noch einige Asse in der Hinterhand hält oder bislang eine längst überfällige Aussprache oder Offenbarung schuldig geblieben ist, die er dann überraschend zu kredenzen weiß. Doch auch der Weg dorthin ist voller Gefahren, blutiger Kämpfe, herzloser Folter und Schreckgespenstern im eigenen Kopf, doch so derb die Schilderungen manchmal sein mögen, verkommen sie doch nie zu purem Selbstzweck, sondern unterstreichen lediglich die vorherrschende Atmosphäre einer Welt, die nunmehr seit Jahren bar jeder Hoffnung auf Erlösung oder Besserung ist, während sich übermächtige, gottgleiche Wesen auf Gedeih und Verderb bekriegen und sich nicht darum zu scheren scheinen, welchen Schaden sie der Welt zufügen, um die sie eigentlich ringen. In diesem Setting ist natürlich ein Mann wie Ryhalt Galharrow bestens geeignet, noch dem letzten Kontrahenten ein Schnippchen zu schlagen und mit List, Tücke und dem Mut der Verzweiflung einen letzten Versuch zu wagen, die Welt vor dem Untergang zu bewahren.
Der Sturz des Raben
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Im Elend lauernde Bedrohungen - 10/10
10/10
Fazit & Wertung:
Mit Der Sturz des Raben, dem Abschlussband seiner Schwarzschwingen-Trilogie, übertrifft sich Autor Ed McDonald noch einmal selbst und führt sämtliche Handlungsfäden zu einem ereignisreichen wie imposanten Finale, das Vorangegangenes noch einmal zu toppen vermag und mit seinem grimmigen Fatalismus, der vorherrschenden Düsternis und nicht zuletzt schierer Sprachgewalt in seinen Bann schlägt und bis zuletzt fasziniert und begeistert.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von Blanvalet. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.
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Der Sturz des Raben ist am 15.03.21 im Blanvalet Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den nachfolgenden Link und unterstützt damit das Medienjournal!