Passend zum nahenden Wochenende hier nun wie versprochen ein Film, den ich guten Gewissens voll und ganz empfehlen kann und warum das so ist, ist mir in der nachfolgenden Film-Kritik hoffentlich gelungen darzulegen. So, und jetzt wird es Zeit für so ein richtig schönes, verlängertes Wochenende.
Tödliche Entscheidung
Before the Devil Knows You’re Dead
Before the Devil Knows You’re Dead, USA 2007, 117 Min.
© Koch Media
Sidney Lumet
Kelly Masterson
Philip Seymour Hoffman (Andy)
Ethan Hawke (Hank)
Marisa Tomei (Gina)
Albert Finney (Charles)
Brían F. O’Byrne (Bobby)
Rosemary Harris (Nanette)
Michael Shannon (Dex)
Amy Ryan (Martha)
Krimi | Drama | Thriller
Trailer:
Inhalt:
© Koch Media
Andy Hanson könnte ein gut situiertes Leben führen, verdient als Top-Buchhalter regelrechte Unsummen, lebt mit seiner attraktiven Frau im mondänen Manhattan und führt ein Leben wie im Bilderbuch; zumindest nach außen hin, denn Andy treiben Spiel- und Drogen-Sucht um, während er noch weitere Geheimnisse zu wahren sucht und so wird es dennoch immer enger mit dem Geld, woraufhin er einen kühnen Plan fasst und hierzu seinen Bruder Hank ins Boot holt, der weit offensichtlichere Geldprobleme hat und kaum für den Unterhalt seiner Tochter aufkommen kann. Hank soll nämlich das Juweliergeschäft der ihrer Eltern Charles und Nanette überfallen, so dass die Brüder die üppige Beute unter sich aufteilen können, während den Eltern der Schaden von der Versicherung ersetzt wird. Der Plan scheint narrensicher, zumal Nanette am fraglichen Tag nicht im Laden ist, doch Hank bekommt kalte Füße und heuert stattdessen einen Dritten an, doch der taucht statt mit Spielzeugknarre mit einer geladenen Knarre auf und die Situation eskaliert schnell, der Raub missglückt. Dass damit die Probleme der Brüder Andy und Hank erst ihren Anfang nehmen, ahnen beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht…
Rezension:
Zugegeben, die Indie-Perle Tödliche Entscheidung – Before the Devil Knows You’re Dead des 2011 verstorbenen Altmeisters Sidney Lumet hat sich lange Zeit meiner Aufmerksamkeit entzogen, doch konnte dies natürlich nicht ewig so bleiben, zumal mit Philip Seymour Hoffman und Ethan Hawke hochkarätig besetzt, derweil es gleichzeitig den finalen wie fulminanten Schlussakkord von Lumets filmischem Schaffen darstellt. Dabei beginnt das sich zum überhöhten Melodram entspinnende Drama im Grunde als klassischer Heist und schon die verschwitzt-lieblose Eröffnungsszene mit Hoffman und Marisa Tomei als dessen Frau macht deutlich, dass man es wahrscheinlich kaum mit althergebrachter, generischer Genre-Kost zu tun bekommen wird. Das sich hieran anschließende erste Drittel allerdings straft diese Annahme Lügen, denn tatsächlich beginnt Lumets letzter Film doch vergleichsweise beschaulich und bis es zu den ersten Twists und damit verbundenen Zeitsprüngen kommt, sieht man sich tatsächlich in die Story eines grenzenlos schiefgegangenen Raubüberfalls versetzt.
© Koch Media
Von diesem Punkt allerdings ausgehend – das erste Drittel ist ohne Frage gleichzeitig der schwächste Part des Films – gelingt es Lumet und mehr noch seinem Drehbuchautor Kelly Masterson – der sechs Jahre später die kongeniale Drehbuchadaption zu Snowpiercer verfasst hat – in die Abgründe seiner Figuren und vorrangig der Familie Hanson vorzudringen, die immer neue Schrecken, Geheimnisse und Zugeständnisse offenbaren und das Wort "dysfunktional" noch zu harmlos erscheinen lassen, um das Verhalten der Familienmitglieder untereinander zu beschreiben. Dabei gelingt Tödliche Entscheidung aber vor allem die diffizile Gratwanderung, die Ereignisse nicht überzogen oder unglaubwürdig erscheinen zu lassen, auch wenn hier natürlich – der Natur des Films geschuldet – einiges an Zufällen zusammenkommt, doch so konstruiert die Story an sich auch sein mag, was sich speziell an den zahllosen Rückblenden und den unterschiedlichen Blickwinkeln festmachen lässt, fällt dies nie störend ins Gewicht oder drängt sich über Gebühr in den Vordergrund.
Fernab der formidablen Regiearbeit seitens Lumet und des nicht minder großartigen Skripts allerdings steht und fällt ein Film wie Tödliche Entscheidung natürlich vorrangig mit seinen DarstellerInnen und wo Philip Seymour Hoffman zum exaltierten Spiel neigt und damit nah an seiner späteren Meisterleistung in The Master zu verorten ist, nimmt sich Ethan Hawke (Regression) als Duckmäuser Hank angenehm zurück, ohne dabei spürbar im Schatten von Hoffman bleiben zu müssen, denn was der mit Lautstärke und Präsenz erreicht, gelingt Hawke wiederum mit eindringlichen Blicken und zurückgenommenen Gesten. Auch Marisa Tomei (The Big Short) als Bindeglied zwischen den beiden ungleichen Brüdern weiß sich trefflich in Szene zu setzen und auch wenn ihr Part im direkten Vergleich wesentlich kleiner ausfällt, ist sie nicht zu unterschätzender und wesentlicher Teil der Figurenkonstellation, die in dem von Albert Finney verkörperten Charles ihre Vollendung findet, der – vergleicht man seine Rolle zu Beginn des Films mit späteren Erkenntnissen – als Paradebeispiel für das Sprichwort "stille Wasser sind tief" herhalten könnte.
© Koch Media
Was also als beinahe handelsüblicher Raubüberfall beginnt, entwickelt sich rasch zu einer Abwärtsspirale mit einer Sogwirkung sondergleichen, die ohne Rücksicht auf Verluste immer tiefer in den Schlamassel steuert, der sich erst allmählich zu entfalten beginnt, womit auch immer weiter die Faszination wächst, die Tödliche Entscheidung zu verströmen weiß, denn nach den einleitenden Minuten hätte ich kaum erwartet, einen Film zu sehen, der sich so offensiv und spielend über Genre-Konventionen hinwegsetzt und mich dergestalt in seinen Bann zu ziehen wüsste, wie es letztendlich spätestens ab der Hälfte der Fall gewesen ist. Hier begeistert zudem noch Michael Shannon (99 Homes) in einer zwar kleinen, aber nicht unwichtigen Rolle und veredelt das Geschehen in Sachen Besetzung noch weiter, doch ist es zu diesem Zeitpunkt längst nur noch die merklich aus dem Ruder laufende Beziehung der Brüder untereinander, die wie gebannt vor den Bildschirm fesselt, denn was als ruhiges, kleine Wellen schlagendes Drama begonnen hat, entpuppt sich doch spätestens im finalen Akt als im besten Sinne reißerische, mit gnadenlosen Wogen hinwegfegende Tragödie sondergleichen, die man sich – auch im Andenken an sowohl Lumet als auch Seymour Hoffman – ohne Zweifel einmal angesehen haben sollte.
Tödliche Entscheidung – Before the Devil Knows You’re Dead
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Fatalistische Zufälle - 8.5/10
8.5/10
Fazit & Wertung:
Sidney Lumet gelingt im letzten, vor seinem Tode realisierten Film Tödliche Entscheidung – Before the Devil Knows You’re Dead das seltene Kunststück, eine zunächst überschaubar und regelrecht harmlos scheinende Geschichte im weiteren Verlauf zu einer handfesten Tragödie auszubauen und dabei gekonnt mit den Erwartungen des Zuschauers zu spielen, ohne dass die weiteren Wendungen und in die Handlung gestreuten Offenbarungen über die Maßen konstruiert oder an den Haaren herbeigezogen wirken. Eine durchweg stimmige Besetzung und allen voran ein gewohnt glänzend wie eindringlich aufspielender Philip Seymour Hoffman tun in diesem fatalistischen Reigen dabei ihr Übriges.
Tödliche Entscheidung – Before the Devil Knows You’re Dead ist am 07.10.08 auf DVD und Blu-ray im Vertrieb von Koch Media erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!
Für mich ist der Film die perfekte Hollywood-Entsprechung einer altgriechischen Tragödie. Sehr eindrucksvoll konzipiert und gespielt, schmerzlich anzuschauen. Verdammt, ich vermisse Philip Seymour Hoffman …