Review: 99 Homes – Stadt ohne Gewissen (Film)

Letzte Woche habe ich euch noch vertröstet, was eine neue Graphic Novel-Review angeht, diesmal tue ich das wieder, doch soll es jetzt nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein, denn wenn wir mal ehrlich sind, führt die Neunte Kunst ein ziemliches Nischendasein, weshalb ich sie fortan am Montag unterzubringen plane, wo die Zugkraft von Media Monday und Montagsfrage darüber hinwegtrösten, dass die Artikel zum Thema kaum gelesen werden und noch am ehesten ein persönliches Guilty Pleasure darstellen. Stattdessen wird es jetzt freitags vermehrt zusätzliche Film-Kritiken geben, denn mit denen komme ich ja ohnehin kaum hinterher. So, und jetzt kommt mir gut ins wohlverdiente Wochenende.

99 Homes – Stadt ohne Gewissen
Stadt ohne Gewissen

99 Homes, USA 2014, 112 Min.

99 Homes - Stadt ohne Gewissen | © EuroVideo
© EuroVideo

Regisseur:
Ramin Bahrani
Autoren:
Ramin Bahrani
Amir Naderi

Main-Cast:
Andrew Garfield (Dennis Nash)
Michael Shannon (Rick Carver)
Tim Guinee (Frank Greene)
Laura Dern (Lynn Nash)

Genre:
Drama

Trailer:

 

Inhalt:

Szenenbild aus 99 Homes - Stadt ohne Gewissen | © EuroVideo
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Dennis Nash schuftet unermüdlich, um seine fürsorgende Mutter Lynn und seinen Sohn Connor über Wasser zu halten, doch ausbleibende Löhne und schlechte Auftragslage sorgen alsbald dafür, dass seine finanzielle Situation in Schieflage gerät und schlussendlich das Elternhaus selbst auf dem Spiel steht. Und ehe sich Dennis und seine Lieben versehen, fordern sie zwei Polizisten auf, das Haus zu räumen, während der skrupellose Makler Rick Carver eine erste Inspektion der Räumlichkeiten vornimmt. Während die Nashs zunächst in einer billigen Absteige unterkommen und einen Großteil ihrer Möbel eingelagert oder verloren haben, sucht Dennis das Gespräch mit Carver, stößt jedoch zunächst auf taube Ohren, bis Carver ihm dreist einen Job anbietet. Zähneknirschend stimmt Dennis zu, wohlwissend, dass jeder Dollar zählt. Während Carver ihn zunächst für die Räumung und Sanierung von weiteren Häusern entlohnt, zieht er ihn mehr und mehr zu seinem persönlichen Protegé heran und ehe Dennis sich versieht, beschreitet er einen ähnlichen Weg wie Carver vor ihm und lässt Skrupel und Moral mehr und mehr am Wegesrand hinter sich…

Rezension:

Es gibt sie noch, Filme, die restlos zu überraschen und zu begeistern wissen, denn im Vorfeld wusste ich über 99 Homes – Stadt ohne Gewissen im Grunde nichts weiter, als dass Andrew Garfield und Michael Shannon mit von der Partie sein würden, was als Verkaufsargument zumindest in meinen Augen schon einmal große Klasse ist, doch hat mich das in keiner Weise darauf vorbereitet, welch vielschichtiges und bitterböses Drama mich hier erwarten würde, dass zwar einerseits die meiste Zeit vollkommen unaufgeregt daherkommt, dem aber andererseits bedrohliche Schwingungen in beinahe jeder Einstellung eine enorme Intensität verleihen. So eröffnet der Film bereits mit einer durchaus schockierenden Szene, in der ein Hauseigentümer ob der drohenden Zwangsräumung den Freitod wählt, doch sind es nicht effekthascherisch aufgebauschte Selbstmordszenen – den nämlich bekommt der Zuschauer nicht einmal zu sehen – sondern die diesbezüglichen Äußerungen der von Michael Shannon verkörperten Figur, der einen rundheraus skrupellosen Immobilien-Hai gibt, dem ein Menschenleben nicht viel wert zu sein scheint.

Szenenbild aus 99 Homes - Stadt ohne Gewissen | © EuroVideo
© EuroVideo

Nach einem kurzen Cut lernt man indes den integren Dennis Nash kennen, der seinerseits von Andrew Garfield (Hacksaw Ridge) verkörpert wird und im Grunde auf der anderen Seite des sozialen Gefälles steht, sich mit Mühe und Not über Wasser zu halten versucht und das eigene Elternhaus zu retten, dass sich Immobilien-Schacherer Carver – der gewohnt intensiv aufspielende Michael Shannon (Midnight Special) – schon unter den Nagel zu reißen gedenkt. Es kommt, wie es kommen muss, und Nash verliert sein Eigenheim, landet mit Mutter und Sohn auf der Straße und kommt zunächst in einer billigen Absteige unter. Dem Gesetz des Films folgend, müsste sich nun ein Kampf durch die Instanzen anschließen, in dem Nash Carver zunehmend gefährlich wird und an dessen Ende der Befreiungsschlag, die Rückkehr ins eigene Heim, stehen müsste, doch weit gefehlt, geht es tatsächlich darum, dass Nash sich in seiner Verzweiflung von Carver anwerben lässt, um als Elektriker und Handwerker bei eiben jenen Hausentrümpelungen zu helfen, denen er selbst zum Opfer gefallen ist.

Anfängliche Skrupel treiben Nash spürbar und sichtbar um, weshalb er auch wohlweislich vor der eigenen Mutter und seinem Sohn verschweigt, womit er nun seine Brötchen verdient, doch je mehr Carver ihn unter seine Fittiche nimmt, umso mehr lockt das große Geld, der Erfolg, die Aussicht auf Wohlstand, wobei in dieser Hinsicht Shannons Figur seitens der Drehbuchautoren Ramin Bahrani und Amir Naderi ein paar großartige Monologe in den Mund gelegt werden, welche die Mär vom "American Dream" pointiert persiflieren. Überhaupt lebt 99 Homes in vielen Belangen von ungemein stimmigen Dialogen, derweil Garfield mit der zunächst schleichenden Korruption seiner Figur zu punkten weiß, die mehr und mehr ihre hehren Ideale über Bord wirft und sich alsbald auf der Seite von Carver selbst wiederfindet, denn lockt der Hai erst mit dem glänzenden Geschmeide, steht man selbst erst auf der vermeintlichen Sonnenseite, ist es nicht mehr so weit her mit der eigenen Moral, was für sich genommen nun sicherlich nicht die neueste oder überraschendste Botschaft darstellt, selten aber so ungemein treffsicher herausgearbeitet worden ist wie hier.

Szenenbild aus 99 Homes - Stadt ohne Gewissen | © EuroVideo
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Ansonsten punktet 99 Homes mit einer überaus ansprechenden Optik, die nichts weniger tut, als ebenfalls das Gefälle zwischen Arm und Reich, in dem Fall auch Gut und Böse (in umgekehrter Reihenfolge) sorgfältig herauszuarbeiten und für eine intensive Atmosphäre zu sorgen, die wie gesagt von einer steten Bedrohlichkeit überschattet wird, nicht nur in Bezug auf die Wut der aus ihren Häusern vertriebenen Bewohner, die sich in ihrer ganzen Macht und Härte gegen Carver und bald auch Nash richtet. Nicht zuletzt sollte aber auch noch Laura Dern (The Master) erwähnt werden, die als Mutter von Nash einen nicht minder großartigen Job macht und insbesondere in der zweiten Hälfte einige starke Momente für sich zu verbuchen weiß. So habe ich es selten erlebt, dass persönliches Unglück und Elend so intensiv und glaubhaft transportiert worden sind, dass man ohne künstliche Effekthascherei oder übertrieben dramatische Wendungen eine derartige Wirkung hätte erzielen können, wie es hier Regisseur Bahrani bei 99 Homes gelingt, wenn man auch fairerweise sagen muss, dass er ein Großteil der sich entfaltenden Wirkung seinen beiden Hauptdarstellern zu verdanken hat, von denen ich theoretisch behaupten würde, sie wären nie besser gewesen, doch dass das nicht stimmt, beweisen zumindest im Fall von Shannon bereits zahllose, nicht minder intensive Rollen, in denen er zu brillieren gewusst hat, derweil Garfield sich nach Beendigung seiner Superhelden-Anwandlungen für The Amazing Spider-Man ja auch vermehrt anschickt, sich mit ernsthaften Charakter-Rollen eine Meriten zu verdienen.

Fazit & Wertung:

Ramin Bahranis 99 Homes – Stadt ohne Gewissen mag auf den ersten Blick weder sonderlich spannend noch neuartig erscheinen, doch die Art und Weise, in der hier mit unerwartet intensiven Bildern und Einstellungen eine zutiefst emotionale Geschichte vom Lockruf des Geldes und der Versuchung der Macht erzählt wird, sollte allen Freunden dramatischer Geschichten einen Blick wert sein, zumal sowohl Andrew Garfield als auch Michael Shannon als treibende Kraft hinter dieser im Stillen oszillierenden Geschichte gleichermaßen zu begeistern wissen.

8 von 10 rücksichtslos geräumten Häusern

99 Homes – Stadt ohne Gewissen

  • Rücksichtslos geräumte Häuser - 8/10
    8/10

Fazit & Wertung:

Ramin Bahranis 99 Homes – Stadt ohne Gewissen mag auf den ersten Blick weder sonderlich spannend noch neuartig erscheinen, doch die Art und Weise, in der hier mit unerwartet intensiven Bildern und Einstellungen eine zutiefst emotionale Geschichte vom Lockruf des Geldes und der Versuchung der Macht erzählt wird, sollte allen Freunden dramatischer Geschichten einen Blick wert sein, zumal sowohl Andrew Garfield als auch Michael Shannon als treibende Kraft hinter dieser im Stillen oszillierenden Geschichte gleichermaßen zu begeistern wissen.

8.0/10
Leser-Wertung 7/10 (1 Stimme)
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99 Homes – Stadt ohne Gewissen ist am 07.06.16 auf DVD und Blu-ray bei EuroVideo erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über einen der Links und unterstützt damit das Medienjournal!

DVD:

Blu-ray:

vgw

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Kommentare (2)

  1. Der Kinogänger 28. Juli 2017

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