Review: Alias Grace (Serie)

Kommen wir heute nun also zu der Serie, über die ich eigentlich schon letzte Woche habe sprechen wollen, worauf ich aber zugunsten des "chronologischen Abarbeitens" verzichtet habe, zumal es auf die eine Woche ja nun auch nicht mehr wirklich angekommen ist, hinke ich ohnehin gnadenlos hinterher, insbesondere was die Netflix-Produktionen betrifft, denen ich mich gerne widmen würde. Aber so ist das eben mit dem Überangebot und immerhin ist ja nun jetzt Wochenende und vielleicht schaffe ich es zumindest morgen, in einige Sachen mal wieder reinzuschauen, denn der heutige Tag ist mal wieder für Familie und Geburtstagsfestivitäten reserviert, wie beinahe jedes Wochenende im November/Dezember eines jeden Jahres.

Alias Grace

Alias Grace, CA 2017, ca. 45 Min. je Folge

Alias Grace | © Netflix
© Netflix

Regisseurin:
Mary Harron
Autorinnen:
Sarah Polley
Margaret Atwood (Buch-Vorlage)

Main-Cast:
Sarah Gadon (Grace Marks)
Edward Holcroft (Dr. Simon Jordan)
Rebecca Liddiard (Mary Whitney)
Zachary Levi (Jeremiah Pontelli)
Kerr Logan (James McDermott)
David Cronenberg (Reverend)
Paul Gross (Thomas Kinnear)
Anna Paquin (Nancy Montgomery)
in weiteren Rollen:
Sarah Manninen (Mrs. Humphrey)
Stephen Joffe (Jamie Walsh)
Martha Burns (Mrs. Parkinson)
Will Bowes (George Parkinson)
Michael Therriault (Mr. McDonald)

Genre:
Historie | Drama | Krimi

Trailer:

 

Inhalt:

Im Jahre 1843 wird die damals fünfzehnjährige Grace Marks beschuldigt, gemeinsam mit dem Stallburschen James McDermott den Hausherren Thomas Kinnear und dessen Haushälterin Nancy Montgomery ermordet zu haben. Während McDermott am Galgen endet – nicht ohne noch die alleinige Schuld auf Grace schieben zu wollen – wird Grace zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Fünfzehn Jahre später wird der Psychologe Dr. Simon Jordan hinzugezogen, um Grace zu den damaligen Ereignissen zu befragen, da es noch immer einen eingeschworenen Kreis derer gibt, die an Grace‘ Unschuld glauben und auf Begnadigung für die Verurteilte hoffen. Obschon Grace sich nicht an die Ereignisse erinnern kann, lässt sie sich auf die Sitzungen mit Dr. Jordan ein und setzt mit ihrer Kindheit im fernen Irland sowie der Überfahrt nach Kanada ein, um sich allmählich den schicksalsträchtigen Ereignissen auf dem Hof von Thomas Kinnear anzunähern…

Szenenbild aus Alias Grace | © Netflix
© Netflix

Rezension:

Nach The Handmaid’s Tale und Wandering Amanda hat Netflix nun mit Alias Grace auch seine erste Adaption eines Margaret Atwood-Romans im Repertoire, wenngleich es sich originär um eine Serie des kanadischen Senders CBC handelt, die aus der Feder von niemand Anderem und Geringerem als Sarah Polley stammt, die sich zwar schon vor Jahren aus dem Schauspiel-Business zurückgezogen hat, dafür allerdings als Autorin und Regisseurin von beispielsweise Take This Waltz ein Begriff sein könnte. Wie dem aber auch sei, ist es ein Segen, dass die versierte und kluge Polley hier für sämtliche Drehbücher zu den insgesamt Episoden verantwortlich gezeichnet hat, denn so wirkt natürlich auch stilistisch das Geschehen, vor allem aber Sprache, Gedanken und die durchaus von zahlreichen Metaphern versetzte Erzählung wie aus einem Guss. Entsprechend könnte sich Alias Grace durchaus anschicken, in einigen Jahren als Paradebeispiel für eine adäquate und gelungene Buch-Adaption zu gelten, denn auch wenn ich die literarische Vorlage in diesem Fall nicht kenne, wage ich doch zumindest zu beurteilen, dass die zu erzählende Geschichte in den rund viereinhalb Stunden Gesamtlaufzeit weder gehetzt, noch langatmig wirkt und in dramaturgischer Hinsicht durchaus formidabel funktioniert.

Szenenbild aus Alias Grace | © Netflix
© Netflix

Im Kern der Erzählung – der Name verrät es ja bereits – steht in diesem Historien-Drama die junge Grace Marks, die des Mordes an ihrem Hausherrn verurteilt worden ist und nun – Jahre später – von Dr. Simon Jordan aufgesucht wird, der sie zu den vergangenen Ereignissen und ihrer Erinnerung befragt. Während die Geschichte um Grace Marks derweil zwar der Realität entstammt, hat es Dr. Jordan in Wirklichkeit nie gegeben (wohl aber im Buch), doch es wird schnell offensichtlich, weshalb er bereits seitens Atwood "hinzugedichtet" worden ist, denn dergestalt fungiert er nicht nur als Stichwortgeber und Konterpart für Marks‘ Monologe, sondern darf zuweilen auch kritisch nachfragen, gleichermaßen aber auch ein wenig leisen Humor in die Handlung bringen, wenn Grace ihn für seine verschrobene Art oder sein Schamgefühl belächelt. Dabei ist dennoch zu jedem Zeitpunkt deutlich, wer in diesen Gesprächen – besser Befragungen – die Zügel in der Hand hält, was noch verdeutlicht wird dadurch, dass Jordan auf Gedeih und Verderb den Schilderungen seiner Probandin ausgeliefert ist, die mit an ihr inneres Selbst gerichteten Monologen bereits früh deutlich macht, gegenüber dem Arzt nicht die ganze Wahrheit zu erzählen.

Szenenbild aus Alias Grace | © Netflix
© Netflix

So mischen sich gleich zu Beginn des Dramas auch Aspekte und Fragmente eines Mystery-Thrillers in die Erzählung, wird die Geschichte durch Traumsequenzen und teils nur Bruchteile von Sekunden dauernde Einschübe immer wieder aufgebrochen und macht sich das beklemmende Gefühl zunutze, dass sich alsbald einstellt, womit Alias Grace zwar auf den ersten Blick wie ein "typisches" Kostüm-Drama wirkt, es sich in diesem Sujet aber nie so gemütlich macht, dass man sich in eine klischeebehaftete Schmonzette verirrt zu haben glaubt. Dafür sprechen auch das übergeordnete Thema der Serie an sich, aber auch manch überraschend brutale Szene, die allerdings niemals selbstzweckhaft oder effekthascherisch wirkt, sondern eben schlicht und ergreifend die rohe Gewalt der Grace zu Last gelegten Tat unterstreicht, wobei im Grunde lange Zeit wirklich unklar bleibt, ob sie die Tat tatsächlich begangen hat und ob ihre Schilderungen oder die gegen sie gerichteten Anschuldigungen als Lüge enttarnt werden. Die schlussendliche Auflösung des Ganzen wiederum lässt sich schon beinahe ärgerlich früh erahnen, doch wenn dann schließlich die konkrete Offenbarung in der finalen Episode erfolgt, wird zumindest angenehm wenig Aufhebens darum gemacht.

Zu meiner eigenen Betrübnis muss ich aber auch sagen, dass ausgerechnet der letzte Teil der Serie im direkten Vergleich zum Vorangegangenen mehr als deutlich abfällt und mich leider nicht annähernd so zu überzeugen wusste wie das bis dahin ungemein effektiv inszenierte, jederzeit gleichermaßen beklemmende und bedrückende, zu Teilen auch verstörende Schauspiel, dem man hier beizuwohnen das "Vergnügen" hat. Dabei ist es natürlich zuvorderst der vielschichtig und ungemein ernsthaft und gleichermaßen wandlungsfähig agierenden Sarah Gadon (Eine dunkle Begierde) zu verdanken, dass Alias Grace eine derartige Sogwirkung zu entfalten versteht, doch bleiben auch die weiteren Figuren und deren DarstellerInnen in bester Erinnerung, allen voran Kerr Logan als James McDermott und Anna Paquin (True Blood) in einer ganz und gar ungewohnten Rolle als aufstrebende Haushälterin Nancy Montgomery, derweil es Zachary Levi (Chuck) war, der mich in der Rolle des ungemein nuanciert und ungewohnt ernst aufspielenden Hausierers Jeremiah Pontelli am meisten überrascht hat. Nicht unerwähnt bleiben in dem Zusammenhang soll allerdings auch die mir bislang unbekannte Rebecca Liddiard als Grace‘ beste Freundin Mary, die insbesondere die zweite Folge der Serie merklich dominiert.

Szenenbild aus Alias Grace | © Netflix
© Netflix

Fernab der in meinen Augen nur mäßig funktionierenden Final-Episode aber hat Alias Grace leider noch mit einer weiteren Schwäche zu kämpfen, erstreckt sich schließlich die Geschichte von Grace über den Zeitraum von fünfzehn Jahren, beziehungsweise behandelt ihre Jugend bis hin zur Inhaftierung, allerdings als Rückblick aus der fünfzehn Jahre später gelagerten "Gegenwart" der Erzählung. So sehr man sich nämlich bemüht haben mag, Sarah Gadon entsprechend zurecht zu machen, will einen der angebliche Altersunterschied nicht so recht überzeugen. Immerhin ist dieses Vorgehen aber doch allemal besser, als hätte man Grace Marks mit zwei verschiedenen Darstellerinnen besetzt, denn das wäre der Intensität der Erzählung, der Glaubhaftigkeit der Figur, der dem zwielichtigem Treiben innewohnenden Kohärenz doch mehr als abträglich gewesen, sind es schließlich oftmals unscheinbarste Gesten und lediglich verstohlene Blicke, die weit tiefer in das Innenleben der Protagonistin und Erzählerin blicken lassen als das gesprochene Wort, denn so eloquent sie sich auch auszudrücken vermag, so intelligent ihre Beobachtungen sein mögen, wird die Sprache an sich hier mehr denn je im gleichen Maße als Schutzschild wie auch als Machtinstrument gebraucht. Dementsprechend bin ich auch gern bereit, über einen nicht ganz runden Abschluss der Erzählung und die irritierende Alterslosigkeit der Hauptfigur hinwegzusehen, denn von diesen Mängeln einmal abgesehen handelt es sich um hochkarätigstes Fernsehen, das zudem noch den Mut besitzt, die Serie auch wirklich mit der letzten Folge enden zu lassen, ohne sich die Option einer an den Haaren herbeigezogenen Fortsetzung offen zu halten.

Fazit & Wertung:

Auf Basis des gleichnamigen Romans von Margaret Atwood schaffen Drehbuchautorin Sarah Polley und Regisseurin Mary Harron mit Alias Grace eine ungemein stimmige Mini-Serie, deren größter Gewinn allerdings ohne Zweifel Sarah Gadon als Protagonistin Grace Marks ist, welche die ambivalent-undurchsichtige Figur facettenhaft und eindringlich verkörpert. Dramaturgie und Ausstattung tun hierbei ihr Übriges, um das psychologische Historien-Drama zu einem Erlebnis werden zu lassen, auch wenn der straffen Erzählung ausgerechnet im Finale ein Stück weit die Puste auszugehen droht.

8 von 10 fragmentarischen Erinnerungen

Alias Grace

  • Fragmentarische Erinnerungen - 8/10
    8/10

Fazit & Wertung:

Auf Basis des gleichnamigen Romans von Margaret Atwood schaffen Drehbuchautorin Sarah Polley und Regisseurin Mary Harron mit Alias Grace eine ungemein stimmige Mini-Serie, deren größter Gewinn allerdings ohne Zweifel Sarah Gadon als Protagonistin Grace Marks ist, welche die ambivalent-undurchsichtige Figur facettenhaft und eindringlich verkörpert. Dramaturgie und Ausstattung tun hierbei ihr Übriges, um das psychologische Historien-Drama zu einem Erlebnis werden zu lassen, auch wenn der straffen Erzählung ausgerechnet im Finale ein Stück weit die Puste auszugehen droht.

8.0/10
Leser-Wertung 5.95/10 (21 Stimmen)
Sende

Episodenübersicht:

Teil 1 (8,5/10)
Teil 2 (8/10)
Teil 3 (8/10)
Teil 4 (8,5/10)
Teil 5 (8,5/10)
Teil 6 (7/10)

 
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Alias Grace ist seit dem 03.11.17 exklusiv bei Netflix verfügbar. Und für all jene, die sich vielleicht lieber erst – oder alternativ – der Buchvorlage von Margaret Atwood widmen mögen, habe ich nachfolgend natürlich noch den Link zum Buch bei Amazon eingefügt. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über besagten Link und unterstützt damit das Medienjournal!

vgw

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