Auch heute bleibe ich den Achtzigern treu mit dem feinen Unterschied, dass mich die Geschichte des nachfolgend rezensierten Romans weit mehr zu überzeugen wusste als das Thema meiner gestrigen Film-Kritik.
The Boys of Summer
The Boys of Summer, USA 2016, 504 Seiten
© Luzifer Verlag
Robert E. Dunn
Klaus-Peter Kubiak
Luzifer Verlag
978-3-958-35448-7
Mystery | Fantasy | Drama
Inhalt:
Der Sturm wurde jetzt immer lauter. Er heulte wie ein gigantisches und wütendes Monster. Dieses Heulen klang so, als ob gleich die Welt untergehen würde, als ob Autos zerschmettert würden und Mauern einstürzen, und die Füße dieses Ungeheuers den Boden zertrampeln würden, während es sich ihnen mehr und mehr näherte.
Im Jahre 1979 fegt ein enormer Tornado über das texanische Städtchen Wichita Falls hinweg und der junge Jonathan sowie dessen Freund Bobby verlieren in dem Chaos je einen Elternteil an die Naturgewalt, während der gleichaltrige Adam den Tod seiner kleinen Schwester zu bedauern hat. Und während David vergleichsweise glimpflich davonkommt, trifft es lediglich Todd noch härter, denn der gerät nach den schockierenden Ereignissen in einen katatonen Zustand, aus dem er erst vier Jahre später wieder erwachen sollte. Zu dieser Zeit, 1983, haben sich die Leben der Jungen bereits gravierend geändert und kaum einer von ihnen könnte behaupten, aus einem glücklichen Elternhaus zu stammen, derweil ihnen die Konsequenzen des Tornados noch immer nachhängen. In diesem Sommer allerdings schließt sich ihnen auch der frisch erwachte Todd an, scheint trotz seines Zustandes aber ungleich erwachsener und vorausschauender als seine Altersgenossen. Und er ist es auch, der eines Tages den Jungs einen Song vorspielt, der ihm quasi im Traum eingefallen ist und sie dazu verleitet, ihre Gruppe in die "Boys of Summer" zu benennen. Doch dieser Sommer wird noch einiges bereithalten, was die fünf über Dekaden hinweg bis in ihr Erwachsenenleben verfolgen wird, bis die Geschichte droht, sich zu wiederholen, und Wichita Falls erneut ins Chaos zu stürzen…
Rezension:
Irgendwie ja ganz passend, dass ich gestern erst über Summer of 84 berichtet habe, der sich ja gehörig daran versucht hat, die viel gepriesene 80er-Jahre-Nostalgie heraufzubeschwören, ohne etwas wirklich Neues oder Unerwartetes dabei zu erzählen. Ganz anders sieht es da schon bei The Boys of Summer aus, dessen Titel nicht nur bereits gewisse Parallelen zu genanntem Film aufweist, sondern dessen Handlung sich auch zu Teilen im Sommer des Jahres 1983 abspielt, wobei hier noch zwei weitere Zeitabschnitte – 1979 sowie 2008 – hinzukommen. Aber bleiben wir doch direkt beim Buch als solchen, das Ende November 2019 im Luzifer Verlag erschienen ist und dank des gelungenen Covers prompt meine Neugierde geweckt hat. Inwieweit die Vergleiche mit der Netflix-Serie Stranger Things zutreffen mögen, kann ich zwar mangels Kenntnis nicht beurteilen, doch schlagen sie schon in eine ähnliche Kerbe und es geht gleichermaßen mysteriös wie übernatürlich zu, derweil der Aufbau der Geschichte als solche womöglich auch in Grundzügen an Stephen Kings Es erinnern mag.
Es gab Zeiten, wo Adam Altman befürchtete, dass sein Leben nichts weiter als eine Illusion war. Er war jetzt achtunddreißig, aber manchmal hatte er das Gefühl, dass die Stunden und Wochen und Jahre seines Lebens irgendwie unbemerkt an ihm vorbeigekrochen waren. War es nicht erst gestern gewesen, dass er sich im Schrank im Flur verkrochen hatte, um dem tosenden Tornado zu entgehen, oder war das wirklich schon neunundzwanzig Jahre her? Die empirische Antwort und die Realität, die er in seinen Knochen fühlte, passten irgendwie nicht dazu.
Überhaupt scheint Stephen King mehr als nur grobe Inspiration für Autor Richard Cox gewesen zu sein, was sich aber zum Glück nicht in simpler Nachahmerei oder profanem Name-Dropping niederschlägt, denn Cox findet weit stilvollere Wege, ihn in die Handlung zu integrieren. Überzeugen kann derweil auch der Aufbau der insgesamt zehnteiligen Story, die sich munter durch die Zeiten bewegt, 1979 ihren Anfang nimmt und 2008 eine Art Konklusion und Katharsis herbeiführt, derweil die wirklich wichtigen und prägenden Ereignisse sich eben wie erwähnt im Sommer des Jahres 1983 zutragen. Anfänglich, das muss ich zugeben, fiel es mir schwer, die Protagonisten auseinanderzuhalten, denn neben den wechselnden Zeitabschnitten je Teil der Erzählung, warten auch die einzelnen Kapitel mit unterschiedlichen Blickwinkeln auf, widmen sich Jonathan oder Bobby, David oder Adam sowie nicht zuletzt Alicia und Todd, was ein recht anspruchsvolles Figurenkonsortium ergibt, wenn es gilt, all ihre jeweiligen Einzelschicksale und Gedanken zu thematisieren. Je weiter aber die Geschichte von The Boys of Summer voranschreitet, umso leichter fällt es verständlicherweise auch, den Figuren gewisse Charakteristika und Manierismen zuzuordnen und sie dergestalt unterscheidbar zu machen.
Durch die unterschiedlichen Zeitebenen gewinnt die Story dafür aber gehörig an individueller Dynamik und vermag in den besten Momenten mit fiesen Cliffhangern zurückzulassen, die wiederum mehr als einmal auf der anderen Zeitachse näher beleuchtet werden. So ist beispielsweise früh die Rede von schrecklichen Bränden, die sich 1983 zugetragen haben, doch bis man wirklich erfährt, ob und inwieweit die Jungen dabei involviert gewesen sind, dauert es gehörige Zeit, gleichwohl es sich in der nachgelagerten 2008er-Ebene nur noch um eine Anekdote der Vergangenheit handelt. Dabei bewahrt Richard Cox seiner Erzählung eine ansprechende Natürlichkeit und Authentizität, wenn er die pubertären Jungs in ihrer Festung abhängen oder sich über Mädchen unterhalten lässt, derweil die zunehmend übernatürlicher und surrealer wirkenden Ereignisse dazu freilich in krassem Gegensatz stehen, vor allem aber bis zuletzt zu überraschen wissen. Echten Horror sollte man sich von The Boys of Summer zwar nicht erwarten, doch die allgemeine Rätselhaftigkeit, die fragmentarischen Erinnerungen und nicht zuletzt das oft bedrückende Flair des Geschilderten sorgen doch für eine gehörige Portion Suspense.
»Warum bist du überhaupt hierher zurückgekommen?« fragte er Todd nun.
Für einen langen Augenblick war das Echo seiner Stimme die einzige Antwort, und Bob fürchtete, dass er wusste warum: Er sprach mit sich selbst. In den letzten Tagen hatte er Todd an den unwahrscheinlichsten Orten gesehen … in der Verkaufsniederlassung, auf der Straße vor seinem Haus und einmal auch in einem weißen Ford Focus auf dem Southwest Parkway. Das war wohl nicht ungewöhnlich. Die Sache war nur die, dass Bob in den letzten fünfundzwanzig Jahren von Todd weder etwas gesehen noch gehört hatte. Wenn man diese Tatsache in Betracht zog, dann fragte man sich doch, wo er so plötzlich hergekommen war und warum er ihm nun praktisch überallhin zu folgen schien.
Darüber hinaus punktet The Boys of Summer mit einem mehr als gelungenen Schreibstil, wofür neben Autor Richard Cox freilich auch Übersetzer Klaus-Peter Kubiak Ehre gebührt. Denn insbesondere die surrealen Passagen oder auch die selbstreflexive Innenbeschau der Protagonisten wissen zu gefallen, wobei mir speziell die Momente in Erinnerung geblieben sind, in denen Cox das Geschehen quasi auf eine Art Meta-Ebene hebt, wenn er darauf verweist, dass dieses oder jenes in einem Film wie folgt ablaufen. Ähnlich verhält es sich, wenn die Figuren darüber sinnieren, wie es wohl wäre, lediglich Teil eines Romans zu sein, was auch schnell nach hinten hätte losgehen und plakativ wirken könnte, hier aber zum allgemeinen Flair des Erzählten auffallend gut passt. Zudem ist eines der Kernthemen nun einmal die Unzuverlässigkeit von Zeit und Realität und mehr als einmal wird auf clevere Weise das Geschehen infrage gestellt, ohne dass es der Spannung und Faszination einen Abbruch tun würde. Eine derart verschachtelte und sich auf ihre jeweiligen Versatzstücke verlassende Erzählung tendiert natürlich zuweilen dazu, über Gebühr konstruiert zu erscheinen, doch Cox gelingt die Gratwanderung trefflich und ich kann nur jedem Mystery-Fan empfehlen, hier einen Blick zu riskieren.
The Boys of Summer
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Schatten der Vergangenheit - 8.5/10
8.5/10
Fazit & Wertung:
Mit The Boys of Summer offeriert Richard Cox eine gelungene Fantasy-Geschichte mit reichlich Mystery und 80er-Flair, die sich auf insgesamt drei Zeitachsen zu entfalten und zu verschachteln beginnt und dabei eine zunehmende Sogwirkung entwickelt, der man sich spätestens im letzten Drittel kaum noch entziehen kann.
Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite des Luzifer Verlag. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.
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The Boys of Summer ist am 30.11.19 im Luzifer Verlag erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!