Ich glaube so pünktlich und aktuell war ich noch nie bei der Sache, doch da ich mich ja in den letzten Zügen meines Urlaubs befinde hatte ich gestern entsprechend Zeit und Muße, mich vollumfänglich der neuen Netflix-Miniserie zu widmen, die seit eben gestrigem Tag dort zu bestaunen ist und die ich nachfolgend jeder und jedem bereitwillig und wortreich ans Herz legen möchte.
Maniac
Maniac, USA 2018, ca. 40 Min. je Folge
© Netflix
Cary Joji Fukunaga
Patrick Somerville
Cary Joji Fukunaga
Emma Stone (Annie Landsberg)
Jonah Hill (Owen Milgrim)
Justin Theroux (James Mantleray)
Sonoya Mizuno (Dr. Fujita)
Gabriel Byrne (Porter Milgrim)
Sally Field (Dr. Greta Mantleray)
Billy Magnussen (Jed Milgrim / Grimsson)
Julia Garner (Ellie Landsberg)
Rome Kanda (Dr. Muramoto)
Alexandra Curran (Holly Milgrim)
Christian DeMarais (Mike Milgrim)
Jemima Kirke (Adelaide)
Grace van Patten (Olivia Meadows)
Geoffrey Cantor (Frank)
Hank Azaria (Hank Landsberg)
Science-Fiction | Mystery | Komödie | Drama
Trailer:
Inhalt:
© Netflix
Owen Milgrims Alltag ist von trüber Tristesse geprägt und unzweifelhaft handelt es sich bei ihm um das schwarze Schaf der ansonsten hochangesehenen und höchst erfolgreichen Familie Milgrim, doch baut insbesondere sein Bruder Jed auf ihn, um ihm vor Gericht ein glaubwürdiges Alibi zu verschaffen, nachdem er einer sexuellen Nötigung bezichtigt worden ist. Dumm nur, dass Owen bereits vor Jahren mit einem psychischen Zusammenbruch zu kämpfen hatte und auch jetzt alles andere als stabil ist. Da kommt es nicht von ungefähr, als Owen wieder einmal sein imaginierter Bruder erscheint, der abgesehen von einem Schnäuzer frappierende Ähnlichkeit mit dem realen Jed besitzt und der ihm eröffnet, dass er zum Retter der Welt werden könnte. Dergestalt auf die Spur gebracht, verschlägt es Owen alsbald zu Neberdine Pharmaceutical Biotech – kurz NPB – , die eine großangelegte Studie durchführen und zu dem Zweck Probanden suchen, um mithilfe der gezielten Gabe von unterschiedlichen Medikamenten und eines ausgeklügelten Behandlungsverfahrens versprechen, sämtliche Traumata offenzulegen und zu verarbeiten helfen, so dass Owen womöglich als geheilter Mann aus der Einrichtung käme. Sein eigentlicher Grund aber, sich bei NPB einzufinden, ist, seine Kontaktperson zu finden, die sich ihm bereits auf mehreren Werbeanzeigen zu erkennen gegeben hat und frappierende Ähnlichkeit mit der Probandin Annie besitzt.
Annie derweil leidet seit Jahren unter Depressionen und führt ein nicht minder in Schieflage geratenes Leben, wobei es auch ihr über Umwege gelingt, Teil der NPB-Studie zu werden, jedoch aus dem Grund, um an die dringend benötigten Tabletten zu kommen, die ihr zumindest zeitweise ein Gefühl der Ruhe bescheren können. Die staunt nicht schlecht, als sie von Owen als vermeintlicher Kontakt angesprochen wird, doch immerhin handelt es sich um eine Studie mit psychisch gestörten oder zumindest lädierten Personen, weshalb die zynisch gewordene junge Frau sich nicht viel dabei denkt, den verwirrten Owen in dem Glauben zu lassen, sie wäre Teil seines geheimen Auftrages. Als aber unter Schirmherrschaft und Kontrolle des Supercomputers GRTA die Behandlung startet, geschieht etwas Unerwartetes, als die Psychen und damit Traumwelten der beiden sich zu überlappen und schließlich zu synchronisieren beginnen, so dass selbst Annie – kaum in die Realität zurückgekehrt – langsam einsehen muss, dass ihr Aufeinandertreffen mit Owen womöglich einem tieferen Plan folgt, derweil die verunsicherten Wissenschaftler letztlich den Schöpfer von GRTA, den in Ungnade gefallenen James Mantleray hinzuziehen, der die vermeintliche Fehlfunktion des Supercomputers in den Griff bekommen soll…
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Rezension:
Seit ich vor einigen Monaten zum ersten Mal von Maniac gehört habe, stand diese von vornherein als Miniserie konzipierte Netflix-Produktion auf meiner persönlichen Watchlist ganz oben, nicht zuletzt, da mich sowohl Thema als auch Besetzung auf den ersten Blick gepackt hatten. Der glücklichen Fügung zum Dank, dass ich gestern meinen letzten Urlaubstag hatte, kam ich zudem in den Genuss, die insgesamt zehn Episoden umfassende Serie auch in einem rund achtstündigen Rutsch im Binge-Watch-Modus durchzuschauen, was natürlich das Erlebnis an sich sowie die Immersion noch verstärkt hat. Mehr denn je nämlich begünstigt speziell diese Show einen durchgehenden Seriengenuss, denn mit Kleinigkeiten wie einem Vorspann hält man sich hier erst gar nicht mehr auf, derweil die Episoden in den meisten Fällen quasi minutiös aneinander anschließen. Dabei merkt man der von Cary Joji Fukunaga und Patrick Somerville auf Basis des gleichnamigen, norwegischen Originals ersonnenen Serie auch in anderer Hinsicht an, dass es sich um ein Experiment handelt und spezifisch für das Format Streaming produziert worden ist, so dass allein die Pilot-Episode Der Auserwählte (1.01) es gar nicht nötig hat, bereits mit spektakulären Traumwelten oder exzessiven Schauwerten zu punkten, sondern sich ganz auf die Exposition der Welt und Hauptfigur Owen Milgrim zu konzentrieren, so dass selbst Stone hier noch eher eine auffällige Nebenrolle einnimmt.
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Dieses Worldbuilding allerdings bringt die Serie auch vom ersten Moment an weit nach vorne, auch wenn man über die Sinnhaftigkeit mancherorts streiten darf, denn es handelt sich mitnichten um "unsere" Gegenwart, in der Maniac zu verorten ist, sondern eine merkwürdige, von einem gewissen Retro-Charme durchzogene Parallelwelt, die einerseits – hinsichtlich Disketten- und VHS-Nutzung – irritierend rückständig wirkt, andererseits mit Häuserwänden bedeckenden Werbeanzeigen nicht von ungefähr an Blade Runner und Konsorten gemahnt, derweil kleine Säuberungsroboter durch die Straßen flitzen und man sich sogenannte "Ad-Buddys" bestellen kann, die einem in der U-Bahn oder dem nächstgelegenen Cafe die eigens personalisierte Werbung vorlesen, für die man wiederum mit Gutscheinen und Treuepunkten belohnt wird. Auch einen Blick auf die Freiheitsstatue sollte man sich in der ersten Folge nicht entgehen lassen, wobei ich hier noch selbst mit mir gezaudert habe, ob diese Teil der Traumwelten von Owen ist oder unmissverständliches Signal dafür, dass wir uns nicht in "unserer" Welt befinden. So spürt man vom ersten Moment an einerseits die Ambitionen der Serienverantwortlichen und erkennt gleichsam, dass dies natürlich auch Teil der Masche sein dürfte, den Zuschauer jederzeit im Unklaren zu lassen, ob und was denn nun wirklich Realität ist und was nur Traum oder Wahnvorstellung.
Kann man sich allerdings für dergestalt exzentrische Welten begeistern, weiß der Netflix-Coup schnell für sich einzunehmen und wer Maniac nicht wenigstens über die erste Folge hinaus eine Chance gibt, der wird sich auch für das Folgende nicht erwärmen können. Die zweite Episode Windmühlen (1.02) nun nimmt sich ausgiebig Zeit, einige Schritte zurückzugehen und vom selben Ausgangspunkt die Geschichte der zweiten Protagonistin Annie zu beleuchten, wobei der Plot hier keineswegs auf der Stelle tritt, sondern sorgsam fortgeführt auch die Welt von Neberdine Pharmaceutical Biotech zu umreißen beginnt und an der obersten Schicht des Traumas von Annie kratzt, wobei man sich nicht darauf verlassen sollte, dass die im Dialog zum Besten gegebenen Erklärungen gleich die Gänze der Wahrheit abbilden, denn insbesondere Regisseur Fukunaga (der auch schon sämtliche Episoden der ersten Staffel True Detective inszenieren durfte) versteht es trefflich, das Innenleben der Figuren behutsam Schicht um Schicht offenzulegen und dabei stets neue Nuancen zu offenbaren. Von der eingangs beschriebenen retro-futuristisch-nostalgischen Außenwelt bekommen wir zu diesem Zeitpunkt zwar kaum noch etwas zu Gesicht und weite Teile spielen sich innerhalb der NPB-Anlage ab, doch offeriert Maniac im Austausch hierfür gleich eine Fülle an mehr oder minder außergewöhnlichen Fantasiewelten, in denen sich insbesondere Owen und Annie ein ums andere Mal konfrontiert sehen, derweil man aber auch ansonsten die Augen offenhalten sollte, um das eine oder andere bekannte Gesicht zu erspähen.
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Nun könnte man schnell vermuten, Maniac nutze seine zunehmend zutage tretende Bildgewalt, um über inhaltliche und dramaturgische Schwächen hinwegzutäuschen, doch weit gefehlt, dient jede Geschichte und Episode einem bestimmten und nachvollziehbaren Zweck auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und -findung unserer Hauptfiguren. Dabei greifen Fukunaga und Team auf eine ganze Bandbreite an wiederkehrenden Motiven zurück, so dass man sich durchaus im Klaren darüber sein sollte, dass die Netflix-Miniserie auf keinen Fall zur Berieselung und zum "Nebenbei-Konsum" taugt, denn beinahe jede Anekdote, jede Szene, jeder Hinweis vermag ein wichtiges Puzzle-Teil im sich nur langsam fügenden großen Ganzen zu sein. Dabei kann es sich um die Erwähnung von Atlantis, das Buch Don Quijote, einen Falken oder selbst die buchstabenförmigen Tabletten handeln, die einem in absurden Situationen erneut begegnen könnten, während man manche Figuren wiederum in der Realität niemals kennenlernen wird, ihnen allerdings in den wechselnden Traumwelten gleich mehrfach über den Weg läuft und vielleicht erst später versteht, mit welchem Ereignis aus der Vergangenheit diese im Zusammenhang stehen.
Entsprechend wartet Maniac auch mit einem gehörigen Mystery-Touch auf, gleichwohl es sich zu großen Teilen auch um eine düstere Komödie und natürlich eine Art Science-Fiction-Drama handelt, das von unterschwelliger Konsumkritik über die Beschäftigung mit dem Wesen der Psyche bis hin zur Definition und Auslegung künstlicher Intelligenz so einige Themen aufs Trapez bringt und trotzdem nie den roten Faden aus den Augen verliert, bei dem es sich natürlich um die von Emma Stone (Birdman) und Jonah Hill (True Story) verkörperten Protagonisten Annie und Owen handelt, deren Verbindung zueinander sowie deren tief sitzende Traumata den Kern der Erzählung ausmachen und damit auch die Art der Traumwelten definieren, die zugegebenermaßen zunehmend aberwitziger und absurder werden, so dass beispielsweise gerade zu Beginn der vorletzten Episode Utangatta (1.09) der satirisch-humorige Anstrich des Ganzen mehr als deutlich zutage tritt, wenn sich Hill mit aberwitzigem Akzent und Perücke in der Rolle eines in Ungnade gefallenen Politikers wiederfindet. Eigentlich möchte ich aber gar nichts von dem Geschehen vorwegnehmen, denn in dieser Hinsicht zeigt eigentlich der Trailer schon mehr, als man anfänglich wissen sollte, denn am besten wirken die teils abrupten und irritierenden Szenenwechsel natürlich bei völliger Unkenntnis, ohne dass man zuletzt das Gefühl hätte, hier wäre ohne großen und übergeordneten Plan gearbeitet worden, so dass schließlich selbst die im Hintergrund befindlichen Pflanzen im Aufenthaltsraum der Probanden noch ihren Zweck erfüllen werden.
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Tonal allerdings ist Maniac durchaus eine Marke für sich und hat mich vielleicht noch am ehesten an Snowpiercer denken lassen, denn nicht nur die Probanden, sondern auch die Ärzte und weiteren Figuren strotzen nur so vor Spleens und absurden Manierismen, so dass das Geschehen manchmal schon reichlich absurd wie absonderlich wirken kann. Des Weiteren hält man sich in zwar seltenen, aber prägnanten Fällen auch in Sachen expliziter – auch hier: überzogener – Gewalt nicht zurück und liefert demnach nicht nur in Sachen Genre, sondern auch inszenatorisch einen regelrechten Hybriden ab, denn Maniac kann von Gangsterstory über Liebesgeschichte, Fantasy-Märchen bis Coming-of-Age-Drama und nicht zuletzt Agenten-Thriller so ziemlich alles sein, was einem auch nur einfallen mag. Das wirkt in einigen Momenten vielleicht übertrieben und letztlich wird der eigene Geschmack entscheiden müssen, ob die Macher nicht doch mancherorts über die Stränge geschlagen sind, doch werden all diese Exzesse relativiert und geerdet durch den emotionalen Kern des Ganzen, so dass insbesondere Stone und Hill nicht nur mit ihrer Wandlungsfähigkeit und ihrem Charisma, sondern auch in dramatischeren und emotionaleren Szenen zu glänzen verstehen.
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Fernab der beiden dramaturgischen Triebfedern aber entpuppen sich insbesondere Justin Theroux (Girl on the Train) als spleeniger Wissenschaftler Mantleray sowie Sally Field (The Amazing Spider-Man) als dessen Mutter Greta als echte Szenediebe, gleichwohl ihre Figuren erst im Verlauf der Erzählung eingeführt sind, dafür aber umso enger mit dem bereits erwähnten Supercomputer GRTA in Zusammenhang stehen, wobei dessen Kürzel schon einen recht eindeutigen Hinweis liefert. Ansonsten punktet insbesondere Sonoya Mizuno (Ex Machina ) ebenfalls als bei NPB beschäftige, ketterauchende Wissenschaftlerin Dr. Fujita und hält das zunehmend aus dem Ruder laufende Experiment mit ihrer energisch-forschen Art auf Linie, während bei den Nebenrollen insbesondere Billy Magnussen (Game Night) in Erinnerung bleiben dürfte, der in der Doppelrolle als Owens echter sowie eingebildeter Bruder in Erscheinung tritt und zudem noch in Einer dieser Tage (1.03) ein Ständchen zum Besten geben darf.
So gibt sich Maniac weder in Sachen Set-Design noch Einfallsreichtum, weder mit seiner formidablen Besetzung noch den abwechslungsreichen und bildgewaltigen Schauwerten eine Blöße (vom gelungenen Soundtrack ganz zu schweigen) und verzichtet vor allem gänzlich auf unnötiges Füllmaterial, so dass allein die Episoden Ceci N’est Pas Une Drill (1.07) und Der See der Wolken (1.08) jeweils kaum dreißig Minuten dauern und es dennoch schaffen, genau die Begebenheiten zu erzählen, welche die eigentliche Geschichte voranbringen. Zum großen Wurf hat es allerdings dann doch in meinen Augen nicht ganz gereicht, auch wenn ich nicht den Finger darauf zu legen wüsste, woran es schlussendlich gehapert hat, doch wird dies schlicht mit den vielen Versatzstücken zusammenhängen, die hier zu einem großen Ganzen verknüpft werden. Denn auch wenn das gelingt, bringt doch jeder szenische Wechsel auch eine Veränderung von Ton und Narrativ mit sich, auf die man sich jeweils und immer wieder neu einstellen muss, was für sich genommen kein wirkliches Problem darstellt, aber eben ein wenig die erzählerische Stringenz trübt. Nichtsdestotrotz handelt es sich um ein gleichermaßen ambitioniertes wie gelungenes Experiment, das mit ungewöhnlicher Inszenierung und Herangehensweise, gelungenem Thema und Worldbuilding sowie abwechslungsreicher Inszenierung zu punkten versteht und sich – abgesehen von den Versatzstücken der einzelnen Traumwelten – mit kaum etwas vergleichen lassen dürfte, was man sonst so im TV und den einschlägigen Streaming-Plattformen geboten bekommt.
Maniac
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Imaginierte Welten - 9/10
9/10
Fazit & Wertung:
Die neue Netflix-Miniserie Maniac besticht nicht nur mit ausgesuchter Besetzung und einem spannenden Setting, sondern versteht es vor allem in Sachen Storytelling, die zahllosen Fäden und Versatzstücke zu einem großen wie vielschichtigen Geflecht zu verweben, das gleichermaßen wort- wie bildgewaltig die Psyche seiner zwei Protagonisten erkundet. Bewusst exzentrisch inszeniert, mit zahllosen spleenigen Figuren gespickt und aberwitzigen Geschichten garniert, mag Maniac sicherlich ein wenig eigen und experimentell sein, unterstreicht dadurch aber auch seine erfrischende Einzigartigkeit. Für Fans nicht ganz alltäglicher, dramaturgisch fordernder und trotzdem höchst unterhaltsamer Serienkost eine echte Empfehlung!
Episodenübersicht:
02. Windmühlen (9/10)
03. Einer dieser Tage (8,5/10)
04. Pelze von Sebastian (8,5/10)
05. Exactly Like You (9/10)
07. Ceci N’est Pas Une Drill (8,5/10)
08. Der See der Wolken (8,5/10)
09. Utangatta (9/10)
10. Option C (9/10)
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Maniac ist seit dem 21.09.18 exklusiv bei Netflix verfügbar.